Behindert light – geht das?

Christel Schilling hätte gern eine Parkerleichterung. Doch die Regeln sind unübersichtlich.

Wuppertal. Christel Schilling ist eine für ihr Alter junggebliebene 83-Jährige. Auf den ersten Blick. Denn die rüstig wirkende Dame ist schwerbehindert, hat einen Behinderungsgrad von 100 Prozent. Mehrere Bandscheibenoperationen, ein Herzschrittmacher, Arthrose in fast allen Gelenken, zwei OPs an beiden Daumengelenken, eine neue Hüfte, ein Trümmerbruch im Fußgelenk und eine Knieoperation haben dazu geführt, dass sie nur noch unter Schmerzen an Krücken gehen kann.

In der eigenen Wohnung nutzt sie einen Gehstock. Jeder Schritt fällt ihr schwer. Aber sie reißt sich zusammen, fährt sogar noch Auto. Automatik - denn kuppeln könnte sie mit dem linken Bein nicht mehr. "Und ich fahre nur kurze Strecken, die ich kenne. Also höchstens mal in die Stadt. Wenigstens ab und zu muss man doch auch mal etwas anderes sehen, als die eigenen vier Wände."

Nur - parken muss sie in der Stadt wie jeder andere auch, auf normalen Parkplätzen. Denn in ihrem Behindertenausweis hat sie die Merkzeichen "G" und "B". Das "aG", das für den blauen Parkausweis nötig ist, hat sie einige Male beantragt, es wurde aber immer abgelehnt. "Ich finde das paradox", sagt sie. "Ich bin zu 100 Prozent schwerbehindert. Mehr geht doch nicht." Es klingt fast resigniert.

Aber "mehr" geht eben doch. Behindert ist nicht gleich behindert. Das "aG" bekommt nur, wer sich "wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung" bewegen kann. Als Vergleichsmaßstab muss nach der Versorgungsmedizin-Verordnung am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten gelten.

Christel Schilling hilft diese Erkenntnis nicht weiter. Bei ihren Besuchen in der Stadt geht sie oft nur von einem Café ins andere. "Längere Strecken schaffe ich längst nicht mehr ohne Pause", sagt sie. Die Operationen an den Daumengelenken haben ihr Problem noch vergrößert. "Ich kann mich nicht mehr mit voller Kraft auf die Krücken stützen."

Ihr Beispiel zeigt nicht nur, dass es zwischen den Merkzeichen "G" und "aG" Sonderfälle gibt, sondern auch, wie schwierig es für die Betroffenen ist, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Zwar gibt es alle Verordnungen, Paragraphen und Voraussetzungen im Internet, "aber damit kenne ich mich in meinem Alter nicht aus", sagt die 83-Jährige.

Hans-Bernd Engels, Vorsitzender des Behindertenbeirats, kann die Problematik nachvollziehen. "Aber die Gesetze sind nun einmal da. Irgendwo wird die Grenze gezogen. Für ein ,aG’ beispielsweise muss der Betroffene weniger als 30 Meter am Stück gehen können." Also gibt es für Fälle wie Christel Schilling keine Chance? "Doch", sagt Engels. "Es gibt noch einen orangen Parkausweis. Der nennt sich aG-light. Ob der im Falle von Frau Schilling ausgestellt werden kann, muss aber die zuständige Stelle entscheiden."

"Davon habe ich bisher noch nie gehört. Ich kannte nur den blauen Parkausweis und die Ausnahmegenehmigung für Handwerker", sagt die Betroffene. "Auf diese Möglichkeit bin ich auch nie hingewiesen worden." Reinhard Behr vom Ressort Straßen und Verkehr erklärt: "Es gibt Spielregeln, sprich Erlasse, wer welche Parkerleichterung bekommt. Die ärztliche Begutachtung dafür erfolgt gegebenenfalls durch den medizinischen Dienst."

Auch für ihn und seine Mitarbeiter sei das nicht immer leicht. "Auch uns trifft die Enttäuschung der Menschen, denen wir sagen müssen, dass sie keinen Ausweis bekommen."

Christel Schilling schöpft dennoch neue Hoffnung. Denn es geht ihr ja nicht darum, mit aller Gewalt als außergewöhnlich gehbehindert eingestuft zu werden, sondern um eine Erleichterung ihres Alltags.

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