Facebook Angeblich Erdogan beleidigt: Wuppertaler wird in der Türkei festgehalten

Ein Wuppertaler sitzt nach angeblichen Anti-Erdogan-Postings auf Facebook in der Türkei fest. Ein Freund versucht zu helfen.

 Ein türkischer Pass.

Ein türkischer Pass.

Foto: dpa

Wuppertal. "Ich bin völlig am Ende" - Kadim D. (45) fällt das Sprechen hörbar schwer. Vor gut einer Woche wollte der türkische Staatsbürger, der in Elberfeld lebt, mit seiner Familie in die Türkei reisen. In den Urlaub, zur Oma, in die Provinz Sivas. An der Grenze nahmen türkische Polizisten ihn fest. In einem Hinterzimmer habe man ihm Screenshots vorgelegt, die kritische Facebook-Postings über den türkischen Präsidenten Erdogan zeigten - veröffentlicht auf D.s Profil in dem sozialen Netzwerk. Nach einem Schnell-Prozess per Video-Chat wurde er mit einer Ausreise-Sperre belegt - und darf die Türkei nicht mehr verlassen.

Einmal wöchentlich muss er sich bei den Behörden in der Provinz Sivas melden, wo die Familie nun bei der Großmutter untergekommen ist - bis zu seinem Prozess. Denn Kritik an Erdogan ist in der Türkei strafbar. Wird er verurteilt, drohen mehrere Jahre Haft, sagt Kadim D.: "Ganz ehrlich: Ich habe keine Hoffnung, dass das für mich gut ausgeht." Dazu habe er über derartige Fälle zu viel gelesen. Urheber der kritischen Postings zu sein, bestreitet er. Frau und Töchter dürfen zwar ausreisen - haben sich jedoch entschieden, vorerst zu bleiben.

Zuerst öffentlich gemacht hatte den Vorfall Kadim D.'s Bekannter C. Außer der WZ berichteten auch ein privates Wuppertaler Nachrichtenportal und mehrere Rundfunksender. Im Netz schlägt die Geschichte Wellen. So wurde die Berichterstattung in der Facebook-Gruppe Nett-Werk Wuppertal am Vormittag mannigfaltig diskutiert — bis sich gegen Mittag dann eine erste Nett-Werk-Nutzerin beschwerte, dass der Beitrag gelöscht wurde. Offenbar wegen Anfeindungen und böser Kommentare. Die gingen dann unter der Beschwerde weiter. Am Abend war dann auch dieser Diskussionsstrang im Nett-Werk nicht mehr zu finden.

C. hatte sich auch an das Auswärtige Amt gewandt, erzählt er. Dort habe man ihm jedoch nicht weiterhelfen können. Das Amt konnte zu dem Vorfall auf WZ-Anfrage am Vormittag nur wenig sagen. Kadim D. sei laut allen Medienberichten türkischer Staatsbürger. Man sei jedoch nur für deutsche Staatsbürger im Ausland zuständig. Entsprechend lägen aktuell keine Informationen vor.

Generell habe das Amt in den vergangenen Wochen die Reise-Hinweise für die Türkei verschärft — und weise auch explizit auf die Gefahr möglicher willkürlicher Verhaftungen hin.

C. ist von der Behörde enttäuscht - und ebenso von der Stadt Wuppertal, an die er sich auch gewandt habe. Stadtsprecherin Martina Eckermann kann zumindest einem Teil der Diskussion in den sozialen Medien die Schärfe nehmen. Hier wurde behauptet, nach sechs Monaten Abwesenheit würde die Aufenthaltsgenehmigung für Kadim D. automatisch erlöschen. "Das stimmt so nicht", so die Stadtsprecherin. Zwar gebe es diese Regel - aber die Behörde habe einen Ermessensspielraum. Und den werde man in diesem Fall natürlich zugunsten der Familie ausschöpfen.

Auch in einem zweiten Punkt sagt die Stadtsprecherin Hilfe zu: Wenn Ehefrau und Töchter am Ferienende zurückkehren, würden sie vom Jobcenter jede notwendige Unterstützung erhalten - ohne, dass sich das negativ auf die Aufenthaltserlaubnis auswirken werde. Denn der sonst mitunter kritische Wegfall des Familieneinkommens sei in diesem Fall "völlig unfreiwillig und unverschuldet".

Kadim D. hilft das vor Ort zunächst wenig weiter. Sich jedoch an türkische Behörden zu wenden, ist für C.eine zweischneidige Sache: Er fürchte, etwa mit einem Anruf beim Konsulat eher noch Öl ins Feuer zu gießen und seinem Bekannten zu schaden. Schließlich handele es sich um staatliche türkische Organe, die qua Dekret auf der Seite des Präsidenten zu sein hätten. Dennoch: "Versuchen werde ich es wohl. Irgendwas muss ich ja tun."

In drei Wochen will sich der Bekannte von Kadim D. selbst in den Türkei-Urlaub aufbrechen. Eine Absage kommt für ihn nicht in Frage - obwohl er schon ein leicht mulmiges Gefühl habe. Schließlich sei er im Netz in Sachen Erdogan-Kritik deutlich aktiver als Kadim D. Dennoch: "Ich lasse mich nicht kleinkriegen", sagt C. Er betrachte die Türkei ebenso als Heimat wie Deutschland (C. ist deutscher Staatsbürger). Und: "Die Reise in meine Heimat lasse ich mir von Erdogan nicht vermiesen."

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