Serie: Stunde Null Als der Kanonendonner verstummte

Am 15. April 1945 tauchen die ersten amerikanischen Panzer aus Remscheid kommend an der Wuppertaler Stadtgrenze auf.

Wuppertal. Es ist Sonntag, der 15. April. Ein herrlicher Frühlingstag. Nachdem die Amerikaner zwei Tage lang Teile Wuppertals unter Beschuss genommen hatten, ist es nun beängstigend ruhig. Quälende Ungewissheit macht sich breit. Was werden die nächsten Stunden und Tage bringen? (…) An diesem Sonntag, gegen 14 Uhr, tauchen die ersten Panzer mit dem weißen Stern im Süden der Wuppertaler Stadtgrenze auf. Vorsichtig kriechen die 30 Tonnen schweren Tanks, aus Remscheid kommend, auf den Straßen Flügel, Rädchen und An der Blutfinke voran. Weitere Panzer dringen durch die Remscheider Straße in das Herz von Ronsdorf vor. Den Tanks folgt eine Kolonne von Jeeps. (…)

Im Schutz der Panzer nähern sich Infateristen dem Ortszentrum. In langer Reihe gehen sie — jeweils eine Gruppe rechts und links am Straßenrand — das steile Stück der Holthauser Straße zum Marktplatz mit dem ausgebrannten Rathaus hinunter. Für die Ronsdorfer ist der Krieg zu Ende. Versprengte deutsche Soldaten werden von den Gis aufgespürt und zur Staubenthaler Höhe gebracht. Von dem provisorischen Sammelplatz auf einer Wiese müssen die völlig erschöpften Angehörigen der Wehrmacht den bitteren Weg in die Gefangenschaft antreten.

An diesem denkwürdigen 15. April überschreiten amerikanische Einheiten auch bei Cronenberg und Langerfeld die Stadtgrenze und nehmen die Außenbezirke in Besitz. Noch sind die Stadtzentren Barmen und Elberfeld in deutscher Hand. Der eigentliche Einmarsch setzt erst in den frühen Morgenstunden des 16. April über die Südhöhen ein. Aus der Richtung Solingen, durch die Kohlfurth über Cronenberg, Cronenfeld und Hahnerberg, aus Ronsdorf über Lichtscheid, aus Remscheid durch Müngsten und die Gerstau und schließlich aus der Richtung Radevormwald und Schwelm durch Langerfeld und die Oehde ziehen die Marschkolonnen. Noch in der Nacht vor der Einnahme von Barmen und Elberfeld lang die Stadt unter Artilleriebeschuss. (…)

In letzter Minute wurden, verschuldet durch eine sinnlose Gegenwehr, zahlreiche Gebäude zerstört, Brände angelegt und Menschenopfer gefordert. So richtete ein auf Dönberg stehendes deutsches Flakgeschütz ein heftiges Feuer auf Wuppertal. Es entstand ein beträchtlicher Schaden. Aus Richtung Essen-Bredeny schoss Artillerie auf die Elberfelder Nordstadt. In der Briller-, Tannenberg-, Marien- und Hochstraße schlugen mehrere Volltreffer ein. (...)

Hitlers sogenannter „Nero-Befehl“, nach dem alle Militär-, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen beim Rückzug der deutschen Streitkräfte zerstört werden sollen, kam in Wuppertal nicht zur Anwendung. Mutige Persönlichkeiten wie der spätere Superintendent Johannes Schlingensiepen sowie die beiden katholischen Dechanten Adolf Goebeler und Joseph Meiß intervenierten erfolgreich bei Befehlshaber der deutschen Verbände.

Heinz Gebauer, Oberbürgermeister und strammer Nationalsozialist, ist ebenfalls nicht untätig geblieben. Im Gegensatz zu „seinem“ Kreisleiter, der sich aus dem Staub gemacht hat, bleibt er in der Stadt. Er hat eingesehen, dass dieser Krieg verloren ist, und will retten, was er noch retten kann. Auch Gebauer wehrt sich gegen die angeordnete Sprengung der Brücken und Versorgungsbetriebe. Er täuscht durch wiederholte Rückfragen die Wehrmachtsoffiziere, um Zeit zu gewinnen. Ebenso setzt er sich persönlich gegen das Sprengkommando durch, das noch am Abend des 15. April das Fernmeldeamt an der Briller Straße in die Luft jagen will. (…) Oberbürgermeister Gebauer übergibt am 16. April dem US-Major Newmann im Barmer Rathaus ordnungsgemäß die Stadt. (…) Wenige Tage danach wird Heinz Gebauer, der seit 1940 im Rathaus amtierte, von den Amis verhaftet.

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