Begrabt mein Herz in Wuppertal Alltagsflucht mit Rotwein und Ringelnatz

Zumindest in Wuppertal ist für WZ-Kolumnist Uwe Becker die Welt noch in Ordnung.

Begrabt mein Herz in Wuppertal: Alltagsflucht mit Rotwein und Ringelnatz
Foto: Joachim Schmitz

Wuppertal. In den vergangenen Tagen habe ich es mir abends oft in meinem Sessel vor dem offenen Kamin gemütlich gemacht, mich in meine kuschelige Ikea-Fleecedecke eingewickelt und bei einem Glas Rotwein Gedichte von Joachim Ringelnatz gelesen. Manchmal muss man dieser Welt entfliehen, auch wenn es nur kurz ist.

Hört man dieser Tage die Nachrichten, könnte man erschaudern und verzweifeln über so viel Größenwahn, Dummheit, Korruption und Menschenverachtung. Martin Schulz, der Kanzlerkandidat der SPD, verkündet ernsthaft, er wird der nächste Bundeskanzler. Da könnte auch der Trainer des HSV, Markus Gisdol, direkt den Gewinn der Deutschen Fußballmeisterschaft als Saisonziel vorgeben, was er aber nicht macht, da er ein realistischer Mensch ist und kein Traumtänzer.

Donald Trump und Kim Jong-un drohen mit ihren Raketen und benehmen sich wie zwei kleine Kinder im Sandkasten, die darüber streiten, wer den größeren Haufen in der Windel hat. Der Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil, lässt seine Regierungserklärung von VW korrigieren und konzerngerecht weichspülen.

Die Verstrickung von Politik und Kapital ist eine schlimme Sache, aber man hat es ja eigentlich schon immer gewusst. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, seine Reden direkt von der Deutschen Bank bekam und dann nur noch seinen „Friedrich-Wilhelm“ darunter setzte.

Weniger schlimm fände ich, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Weihnachtsansprache vorab dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx und dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, zur Korrektur geben würde. Man könnte auch darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre, dass die rassistische Identitäre Bewegung ein Boot chartert, um im Mittelmeer Flüchtlinge zurück in ihre Herkunftsländer zu bringen, dabei selbst aber in Seenot gerät.

Bei diesem ganzen Wahnsinn sollte man aber auch nicht vergessen, dass es auch positive Meldungen gibt. Der WSV steht nach einem 3:1 beim Erzrivalen Rot-Weiß Essen und dem Heimsieg von Samstag gegen Wegberg-Beek in der Spitzengruppe der Regionalliga West, und die Schwebebahn fährt seit Tagen störungsfrei durchs Tal. In Wuppertal ist die Welt also relativ in Ordnung.

Anders sieht das in der Türkei aus, wo Erdogan nicht nur die Opposition unterdrückt und kritische Journalisten verhaften lässt, nein, nun plant er auch noch, die Evolutionstheorie aus den Schulbüchern zu verbannen, weil diese Thematik für Kinder schwer zu verstehen sei. Ich würde mich nicht wundern, wenn die AfD hier bei uns in naher Zukunft einen Schritt weitergeht und behauptet, die ersten Menschen im Paradies wären nicht Adam und Eva gewesen, sondern Adolf und Eva.

Bevor wir dies in der Tagesschau hören müssen, mache ich mir noch eine Flasche Rotwein auf, setze mich in meinen Sessel und lese noch ein paar Gedichte von Joachim Ringelnatz.

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