Wie die Nationalsozialisten Sprockhövel übernahmen

Ein Aufsatz von Stadtarchivarin Karin Hockamp ruft die Ereignisse von 1933 in Erinnerung.

Sprockhövel. Am gestrigen Mittwoch wurde an vielen Orten an die Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten erinnert. Was für die Nachkriegsgenerationen oft nur als eher trockener Schulstoff vermittelt wurde, hat auch in den heute zu Sprockhövel gehörenden Gemeinden sehr konkrete und persönlich einschneidende Folgen gehabt. Unter dem Titel „Die ,Machtergreifung’ fand auch in Sprockhövel statt“ hat Stadtarchivarin Karin Hockamp zum 80. Jahrestag des Ereignisses die Geschehnisse vor Ort in einem Aufsatz zusammengefasst.

„Die Vorgänge in Sprockhövel zeigen beispielhaft den Mechanismus dieser Okkupation auf lokaler Ebene in den ehemaligen Landgemeinden, deren überwiegende Arbeiterbevölkerung die Nazis mehrheitlich abgelehnt hat“, beschreibt Karin Hockamp das Ergebnis ihrer Recherche.

Ausgangslage war auch in Sprockhövel, dass immer weniger Menschen den aktuellen politischen Mehrheiten zutrauten, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen. Arbeitslosigkeit, Not und Perspektivlosigkeit machte viele Menschen auch gewaltbereit. „Bei den Wahlen zum Reichstag im November 1932 erreichte die NSDAP 33,1 Prozent der Stimmen im Amt Haßlinghausen (Gemeinden Haßlinghausen, Hiddinghausen I, Gennebreck und Linderhausen) und 33,7 Prozent im Amt Sprockhövel. In Haßlinghausen wurden die KPD mit 28,9 Prozent und die SPD mit 23,8 Prozent gewählt. In Sprockhövel (Gemeinden Nieder- und Obersprockhövel und Hiddinghausen II) wählten 43,2 Prozent SPD und 9,2 Prozent KPD. Eine nennenswerte bürgerliche Kraft zwischen den Arbeiterparteien und den Nationalsozialisten gab es nun nicht mehr“, schreibt Hockamp.

Schon vor der Machtübernahme galt die NSDAP in Sprockhövel mit 90 Mitgliedern als relativ groß. Nachdem Hitler-Anhänger schon am 30. Januar in Hattingen durch die Stadt gezogen waren, formierten sich auch die Nazi-Gegner. So zog einen Tag später ein Demonstrationszug von KPD-Anhängern durch Haßlinghausen. In Sprockhövel wurde am 3. Februar ein Nazi-Aufmarsch von einem „Unterhaltungsabend“ im Saal Börger gekrönt.

Ab Ende Februar begann die systematische Beseitigung der Opposition. „Die Leiter aller KPD-Ortsgruppen, soweit man ihrer habhaft werden konnte, wurden ab dem 28. Februar festgenommen. Das waren in Sprockhövel der Hauer Hugo Marx, Leiter der KPD-Ortsgruppe Sprockhövel, der Schlosser Walter Haumann aus Landringhausen und der Polier Josef Domjahn aus Schee. Die letzten beiden waren auch Gewerkschafter. Domjahn, der in Schwelm einsaß, wurde Ende Juli wieder entlassen; Haumann jedoch kam erst zu Weihnachten aus dem KZ Neusustrum (Emsland) nach Hause zurück. Marx wurde am 1. April 1933 aus dem Essener Gefängnis entlassen“, schreibt Hockamp.

Vom Abend des 2. März wird über eine Schießerei auf der Mittelstraße zwischen NSDAP-Anhängern und Vertretern des „Reichsbanners“, einer sozialdemokratisch dominierten Organisation, berichtet. Von bewaffneten Überfällen auf Sozialdemokraten in Haßlinghausen berichtet auch die Familie des ehemaligen Bürgermeisters Wilhelm Kraft, der seinen Widerstand gegen das NS-Regime später mit dem Leben bezahlen musste.

Weitere Opfer des neuen Regimes waren unter anderem der Gemeindevorsteher Heinrich Brüninghoff (SPD), der im kleinen Sprockhöveler Gefängnis einsaß, das sich im Bereich Bahnhofstraße/Hauptstraße befand, und der Alte-Haase-Betriebsratsvorsitzende Hugo Niedmann, der bis 1944 viermal verhaftet wurde. Der bürgerlich-liberale Haßlinghauser Amtmann Wilhelm Hüppe wurde durch den Nationalsozialisten Arthur Dippe aus Gennebreck ersetzt.

Politisch bedeutungslos waren schließlich die Ergebnisse der Wahlen 1933. Bei der Reichstagswahl blieb die SPD mit 41,7 Prozent im Amt Sprockhövel die stärkste Partei (NSDAP 38,9 Prozent). Im Amt Haßlinghausen wurde die NSDAP mit 43,8 Prozent zwar stärkste Partei; mehr Wählerinnen und Wähler unterstützten jedoch nach wie vor eine der beiden Arbeiterparteien SPD (23,2 Prozent) und KDP (21,5 Prozent). Bei der Kommunalwahl verlor die NSDAP im Amt Haßlinghausen fast fünf Prozent gegenüber der Reichstagswahl, und in Sprockhövel erlangte nicht einmal das Wahlbündnis NSDAP/Bürgerliche die Mehrheit; es bekam nur 45,5 Prozent“, schreibt Karin Hockamp.

Trotzdem übernahmen in allen Gemeinden die nationalsozialistischen Kandidaten die Herrschaft, die wie andernorts durch Vereinsverbote und „Gleichschaltungen“ abgesichert wurde.

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