Weltkriegs-Erinnerungen: „Das Krieg-Spielen gefiel uns schon lange“

Sprockhövels Stadtarchivarin über den Beginn des Ersten Weltkriegs.

Weltkriegs-Erinnerungen: „Das Krieg-Spielen gefiel uns schon lange“
Foto: Stadtarchiv

Sprockhövel. Die überlieferten Quellen im Stadtarchiv Sprockhövel sprechen eine eindeutige Sprache: Sie erzählen vom Amtmann, der das Telegramm mit dem Mobilmachungsbefehl einrahmte und in seine Amtsstube hängte, vom Lehrer, der mit einer flammenden Rede seine Schüler für den Krieg begeisterte und von Zeitungsredakteuren, die mit enthusiastischen Artikeln den Kriegsausbruch feierten.

Weltkriegs-Erinnerungen: „Das Krieg-Spielen gefiel uns schon lange“
Foto: nn

Wie die Sprockhöveler Arbeiter, die Kötter, Handwerker und Bauern, Männer und Frauen den Kriegsausbruch bewerteten, der die Männer von der Ernte weg, aus den Betrieben und Familien holte, ist nicht überliefert. Gewiss war dort die Skepsis größer und die Verblendung kleiner als im kaisertreuen und kriegsbegeisterten Bürgertum im Sommer 1914.

Weltkriegs-Erinnerungen: „Das Krieg-Spielen gefiel uns schon lange“
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Der Mainstream dieser Tage erlaubte keine Zweifel und Angst. Wenn es sie gab, wurden sie überdeckt von mächtiger Begeisterung, an einer großen Aufgabe teilzuhaben: die Heimat gegen eine Welt von Feinden zu schützen, Teil einer Volksgemeinschaft zu sein, die keine Klassen und Zwietracht kennt.

Einhellig waren die Menschen der Ansicht, dass man das Vaterland nicht im Stich lassen dürfe. Für wessen Interessen sie wirklich Leben und Gesundheit einsetzten, war selbst klassenbewussten Arbeitern und kritischen Intellektuellen nicht klar.

Amtmann Eugen Theis (35), Verwaltungschef des Amtes Sprockhövel, versah seinen Dienst im Amtshaus an der Hauptstraße seit zwei Jahren. In den kommenden vier Jahren des Krieges sollte er der Verwalter und Organisator der Heimatfront in Sprockhövel sein. Aus seinen Akten erfahren wir einiges von den Anforderungen und Zumutungen, die auf die Bevölkerung zukommen würden und von dem organisatorischen Aufwand auf lokaler Ebene, den die Kriegswirtschaft erforderte.

Am leichtesten waren die Kinder zu begeistern, für die der Krieg zunächst ein großes Abenteuer war. Im Stadtarchiv lagert das Interview mit dem damals 91-jährigen Wilhelm Hillmann, Jahrgang 1905. Der Sohn eines Schneiders aus der Mühlenstraße besuchte von 1912 bis 1920 die Schule Nord und erinnerte sich noch im hohen Alter an die Mobilmachung: „Für uns ein tolles, erhebendes Gefühl. Auf dem Schulhof vor dem Denkmal für die Gefallenen des Krieges von 1870/71 begann nach einer flammenden Rede des Rektors Karl Achenbach ein riesiger Fackelzug durch Sprockhövel.“

Die Jungen seien kräftig mitmarschiert. „Die Reservisten wurden sofort eingezogen und mit Blumen verabschiedet: ‚Wir sind in vier bis fünf Monaten zurück. Dann haben wir die Franzmänner und Engländer ordentlich verhauen!’ Wir Knaben waren begeistert, denn das Kriegspielen gefiel uns schon lange. Fast in jeder Straße bildeten sich kleine Gruppen mit ‚Soldaten’. Da hieß es: Unterdorf gegen Hauptstraße, Mühlenstraße gegen Fänkenstraße. Wir bauten eine Kanone aus einem Ofenrohr.“

Auch Lehrer Ernst Baetzel von der Schule Schee war eifriger Helfer, als der Haßlinghauser Amtmann Schmitz am 4. August an der Quellenburg eine Straßensperre anordnete. Der Kriegsbeginn wurde von einer Massenhysterie begleitet. In einer heute lächerlich erscheinenden Euphorie witterte man überall Spione und Verräter. Baetzel beschreibt seinen Einsatz in der Schulchronik: „Jedes Kraftfahrzeug und jeder Lieferwagen wurde angehalten und durchsucht.“

Die Kriegsbegeisterung sollte nicht lange anhalten. Mit der Anzahl der Gefallenen schwand das Hochgefühl der Unbesiegbarkeit und mit der Rationierung der Lebensmittel Anfang 1915 begann die Zeit der großen Not. Auch in Sprockhövel mussten sich die Menschen auf eine schwere Zeit einstellen.

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