Zuhause im Bahnhof Schee

Peter Ignatowitz hat den Bahnhof Schee für sich und seine Familie hergerichtet. Der Charakter blieb vollständig erhalten.

Schee. An den Augenblick, als er das erste Mal den Rottenberger Weg herunterfuhr und den Bahnhof Schee erblickte, erinnert sich Peter Ignatowitz noch ganz genau. "Ich wusste gleich - das ist es", erzählt er von jenem Tag im Jahr 1983, als er von einem Freund gehört hatte, dass ein Bahnhof zum Verkauf stehe und sich spontan auf die Socken von Essen nach Sprockhövel machte, um sich den mal anzuschauen.

Nach zähen Verhandlungen mit der Bundesbahn und einem Bieterwettstreit mit einem verbliebene Mitbewerber war Ignatowitz "Bahnhofsbesitzer". Im alten Güterschuppen baute er Haus in Haus ein 300-Quadratmeter-Paradies für seine Frau und die damals sechs und fünf Jahre alten Kinder Rabea und Peter junior. Im Bahnhofsgebäude entstanden innerhalb von elf Monaten sieben weitere Wohnungen, um die Rieseninvestition einigermaßen refinanzieren zu können.

"Ich wäre fast pleite gegangen", erinnert sich der inzwischen selbstständige Vermögensberater, denn die Sanierungskosten waren weit höher als zunächst angenommen und betrugen am Ende mit rund 1,8 Millionen Mark gut das Vierfache des Kaufpreises. Die Bundesbahn hatte das Gebäude zuletzt so herunterkommen lassen, dass praktisch jede Schieferplatte ausgetauscht werden musste. Das Denkmalamt ließ zu seiner Erleichterung zu, dass er die Fenster zwar mit Sprossen versehen, nicht aber in Holz ersetzen musste und das Schleppdach des Güterschuppens ausbauen und verlängern durfte.

Für Rabea und Peter Junior hieß das traumhafte neue Heim nur "Schloss Drakula", nachdem aus einem alten Schrank in den tiefen Gewölbekellern Fledermäuse herausgeflattert waren. Der Schrank steht noch heute im Keller und ist wie so viele alte Utensilien erhalten. Den Fahrkarten- und Stempelschrank hat sich Peter Ignatowitz als wunderbare Vitrine für Gläser aufarbeiten lassen, im Keller tickt noch eine Bahnhofsuhr.

Auch die Bahnhofsschilder hängen noch am Bahnsteig, der längst zur Terrasse umfunktioniert ist. "Mein Glück war, dass mit Klaus Peters ein Bahnhofsbediensteter einer meiner Mieter wurde. Er wusste, wo sich alles befand und hat mir als Hausmeister unschätzbare Dienste geleistet", erzählt Ignatowitz. Peters ist inzwischen im Altersheim, weil er die steile Treppe ins Obergeschoss nicht mehr bewältigen konnte.

Die ist genauso erhalten wie der äußere Charakter des Gebäudes, auch wenn der Eingang für die Reisenden 1.Klasse sowie der Ausgang zum Bahnsteig durch Rundbogenfenster ersetzt wurden. Die Mieter gehen durch den ehemaligen Bediensteteneingang, der nicht nur zu den schon immer existierenden drei Wohnungen für Bahnhofsmitarbeiter, sondern auch zur Bahnhofsgaststätte führte.

Dort hatte schon lange niemand mehr sein Bier getrunken, bevor sie Wohnungen Platz machte. Der Personenverkehr wurde bereits 1979 eingestellt. Bis Anfang der 90er Jahre ratterte dann nur noch täglich ein einsamer Güterzug an Ignatowitz’ Badezimmerfenster vorbei.

Heute hat die Natur das ehemalige Gleisfeld, das zu Glanzzeiten mehr als zehn parallele Schienenstränge umfasste, auf denen die Kohlezüge aus dem Ruhrgebiet zur Weiterfahrt Richtung Wuppertal und Sauerland neu zusammengestellt wurden, zurückerobert. Jeder von Ignatowitz’ Mietern hat sich einen kleinen Garten errichtet. "Es ist eine tolle Hausgemeinschaft", schwärmt er.

Nach dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren hat der 68-Jährige die große Wohnung seiner Tochter Rabea und ihrem Lebensgefährten überlassen und hat sich eine kleinere in einem Teil der ehemaligen Wartehalle eingerichtet. Das Wohnzimmer befindet sich im Vorbau für das alte Stellwerk.

"Ich bin sicher kein typischer Eisenbahnfan, aber das hat doch etwas", sagt Peter Ignatowitz und muss schmunzeln. Losgelassen hat ihn die alte Strecke Schee - Hattingen nämlich auch aus einem anderen Grund nicht. Sein Maklerbüro hat er inzwischen in der ehemaligen Zeche Alte Haase eingerichtet, die ebenfalls von der Kohlenbahn bedient wurde.

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