Gleichstellungsbeauftragte Sabine Schlemmer: „Die Quotenfrau ist nur ein Ablenkungsmanöver“

Sprockhövel. Zum Weltfrauentag sprach die WZ mit der Gleichstellungsbeauftragten Sabine Schlemmer über Karriere, Kinder und Quoten.

Seit wann sind Sie Gleichstellungsbeauftragte?

Schlemmer: Seit Januar 1989. Sprockhövel war eine der ersten Städte mit Gleichstellungsbüro.

Braucht man heute noch eine Gleichstellungsbeauftragte? Oder eher eine Gender-Beauftragte?

Schlemmer: In den gesellschaftlich relevanten Bereichen in Deutschland, also dort, wo weitreichende Entscheidungen getroffen werden, wo das Geld und die Macht sitzen, sind Frauen immer noch unterrepräsentiert und benachteiligt. Daher ist es notwendig, dass wir uns offiziell Frauen- oder Gleichstellungsbüros nennen und nicht Genderbüro. Meine Arbeit umfasst so viele Themen — von ‚A wie Arbeitsmarkt oder Altersarmut von Frauen‘ bis ‚Z wie Zwangsehe‘ — dass eine Gleichstellungsbeauftragte gerade von Amts wegen wichtig ist.

Wo hakt es besonders?

Schlemmer: Deutschland ist ein Lohndiskriminierungsland par excéllance, wo Frauen nach wie vor in einer gleichwertigen Position innerhalb der privaten Wirtschaft im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen. In diesem Jahr müssten Frauen bis zum 25. März arbeiten, um das gleiche Jahreseinkommen für 2012 zu haben, wie ein Mann in gleichwertiger Tätigkeit. Für die Renten wirkt sich dies so aus, dass die Kluft im Alterseinkommen zwischen Männern und Frauen rund 70 Prozent beträgt. Der 25. März ist daher als „Equal-Pay-Day“ einer unserer Aktionstage.

Können Sie Beispiele nennen, wo gerade in Sprockhövel Nachholbedarf besteht?

Schlemmer: Sprockhövel ist keine Insel der Glückseligen. Viele Bürgerinnen hier sind bestens qualifiziert und haben trotzdem durch die Familienphase einen Laufbahnknick. Themen wie Alleinerziehende, angemessene Kinderbetreuung, aber auch Gewaltausübung gegen Frauen und Mädchen machen keinen Bogen um Sprockhövel. Aber es gibt auch Dinge, wo wir Gleichstellungsbeauftragten politisch einiges erreicht haben. Auch im EN-Kreis war es so, dass Hartz-IV-Empfängerinnen eine Abtreibung bezahlt bekamen, nicht aber das Verhütungsmittel, das für die Frau am passendsten war. Absurd! Das ist etwas, was wir in die Gremien und Parlamente rückmeldeten und was im Kreis vor Ort verändert wurde. Jetzt ist das landes- und bundesweit kein Thema mehr. Aber nur, weil Frauen zu uns kommen — da ist der Knackpunkt. Wenn hier ein Genderbeauftragter säße, also möglicherweise ein Mann — ich weiß nicht, ob eine Frau dann ihr Anliegen frei äußern würde...

Sie sind also eine Art Extra-Anlaufstelle für Frauen?

Schlemmer: Eine tägliche Beratung ist nicht mein Schwerpunkt. Mit fast jeder Frage in Sachen Chancengerechtigkeit der Geschlechter kann man hierher kommen. Zumeist verweise ich dann an die jeweilige fachliche Beratungsstelle, nehme also die Funktion der Multiplikatorin ein.

Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie sieht es bei der Stadtverwaltung aus?

Schlemmer: Es ist gesetzlicher Auftrag, Frauenförderung aktiv zu betreiben. Das Landesgleichstellungsgesetz ist für den öffentlichen Dienst maßgebend. Zum Beispiel gewährt die Stadtverwaltung unseren sehr qualifizierten Mitarbeiterinnen Teilzeit. Doch obwohl sie sich bestens bewähren, steigen sie nicht ohne Weiteres auf.

Halten Sie die Frauenquote für sinnvoll?

Schlemmer: Ja. Mir haben schon so viele Chefs mit herzlichem Augenaufschlag versichert, dass sie Frauen fördern würden, wenn die Frauen nur wollten. Im Ergebnis beobachte ich jedoch über Jahrzehnte, dass doch eher Männer die Leitungsposition bekommen. Daher bin ich für eine Quote. Vor mehr als zehn Jahren sind Frauen in Skandinavien auf die Straße gegangen und haben die 40 Prozent für sich in den Führungsetagen gefordert. Heute sind sogar börsennotierte Unternehmen paritätisch besetzt. Die Männerwelt dort sagt heute: „Das war das Beste, was uns passieren konnte.“

Aber besteht nicht die Gefahr, dass diesen Frauen vorgeworfen wird, ihre Position nur der Quote zu verdanken?

Schlemmer: Quote bedeutet ja, dass eine Frau nur dann bevorzugt werden soll, wenn sie die gleiche Qualifikation, die gleiche Befähigung hat und die gleiche Leistung erbringt. Wenn dieser Umstand bekannter und die Notwendigkeit anerkannter wäre, würde nicht mehr so darauf rumgeritten. Als Frau in Leitung werden Sie trotzdem besonders beäugt und müssen sich rechtfertigen, auch wenn sie die Position verdient haben. Die „Quotenfrau“ ist nur ein Ablenkungsmanöver.

Wie kann es andererseits sein, dass sich Frauen schon fast wieder rechtfertigen müssen, wenn sie Hausfrau und Mutter sind?

Schlemmer: Ich plädiere für eine freie Gestaltung der Rolle. Erziehungsarbeit muss angemessen wertgeschätzt und entlohnt werden, ja, steuerlich und rentenrelevant so angerechnet werden, dass Frauen und Männer sich frei entscheiden können, phasenweise für die Familie zu Hause zu bleiben. Und ebenso ohne Hürdenlauf in ein humanes Arbeitsleben zurückzukehren.

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