Ein Märchenerzähler wandelt auf den Spuren Ali Babas

Dietmar Frege ist im Kindergarten St. Josef als Weiser aus dem Morgenland zur Institution geworden.

Haßlinghausen. Wer 40 Räubern einen Schatz entreißen möchte, braucht Erfindungsgeist. Wie Ali Baba einst dieses Kunststück gelang, steht in „Tausendundeiner Nacht“. Scheherazade hieß die legendäre Märchenerzählerin, die in der Rahmenhandlung des berühmten Buches nicht nur Ali Babas Abenteuer zum Leben erweckte. Seit vier Jahren schlüpft Dietmar Frege, Werbefotograf aus Haßlinghausen, regelmäßig in die roten Märchenerzähler-Pantoffeln, um auf Ali Babas Spuren zu wandeln. Für die Kleinen im Kindergarten St. Josef ist er eine Institution, ein Weiser, der zwischen Abend- und Morgenland pendelt.

Ein wenig märchenhaft klingt auch der Werdegang dieses Erzählers vom Rande des Ruhrgebiets. Vor 70 Jahren im Erzgebirge geboren, zog Dietmar Frege 1947 mit den Eltern nach Sprockhövel, absolvierte später eine Fotografenlehre, besuchte die Fachhochschule für Fotografie in Köln und betrieb ein Fotolabor in Brüssel.

Im Anschluss war er, gerade mal 28 Jahre alt, Produktionsleiter des Großbetriebs CEWE Color, doch eine Zukunft im Management schien ihm nicht so attraktiv wie das kreative Arbeiten. So machte er sich 1968 in Haßlinghausen auf dem elterlichen Grundstück als Werbefotograf selbstständig.

„Vom Senftöpfchen bis zum Sarg habe ich alles fotografiert“, sagt Frege, aber ganz wesentlich war der Sektor Food-Fotografie (Nahrungsmittel). Von 1986 bis 1995 pendelte er mit Ausrüstung und Assistenten zwischen Sprockhövel und Paris, wo er für die großen Medien von „Figaro“ bis „Elle“ arbeitete und Bücher von Starköchen wie Bocuse illustrierte. Erst zu Zeiten des Golfkriegs ebbten die Aufträge aus Frankreich ab.

Seit 2002 leitet die Tochter das Geschäft, in dem eine seltsame Regel gilt: „Ein Werbefotograf ist der Zeit immer um ein halbes Jahr voraus.“ Wenn nämlich im Sommer die Kataloge für Weihnachten erstellt werden, müssen in Hallen die Christbäume und Schneelandschaften arrangiert werden. Da ist Einfallsreichtum gefragt, der sich auch beim Geschichtenerzählen bezahlt macht.

Zum weißen Ali Baba wurde Frege bei einer Marokko-Reise. Aber der Sprung in die orientalische Märchenwelt war nicht so groß: „Ich habe immer ein offenes Ohr für Kinder gehabt und schon den eigenen Kindern Märchen erzählt oder für sie erfunden.“ Sein fliegender Teppich ist mittlerweile legendär. Darauf sitzt er, umgeben von Sand, um die Kinder mit orientalischem Gruß zu empfangen.

Sandalen aus, rote Pantoffeln an — dann kann die Phantasiereise beginnen. Die klassischen Märchen seien allerdings viel zu lang für die reizüberfluteten Drei- bis Fünfjährige unserer Tage. Also kürzt Frege die Geschichten auf maximal 20 Minuten. Nicht Apfelbäume, sondern Palmen schmücken sein Reich, wo Ali Baba mit dem Freund Abdullah oder dem Zuckerbäcker Ibrahim telefoniert und sich das Neueste vom Kamel Zafira berichten lässt.

Zafira hat auch eine Tochter, die von den Kindern auf den Namen Anastasia getauft wurde. Nicht gerade orientalisch, aber so ist das nun mal in einem modernen Morgenland. Und wenn der Teppich nicht fliegt, dann liegt es eben daran, dass in Sprockhövel der Wüstenwind fehlt.

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