Werksschließung: „Whitesell wird sich noch wundern“

Rolf Nilgen arbeitet seit 47 Jahren an der Further Straße. Der Dreher gibt sich kampfbereit.

Werksschließung: „Whitesell wird sich noch wundern“
Foto: büntig

Neuss. Als Rolf Nilgen seine Ausbildung beginnt, wird er fast jeden Morgen von Christian Schaurte begrüßt. „Da war die Firma noch in Privatbesitz, der Chef ging oft durch das Werk. Wir waren allein in Neuss 2400 Beschäftigte — so viele wie heute in vier Werken“, erzählt der Neusser Dreher. Heute, 47 Jahre später, heißt sein Arbeitgeber Whitesell Germany. In der vergangenen Woche kündigt das Tochterunternehmen der Whitesell Group of Companies an, mindestens die Hälfte der Belegschaft zu entlassen. Die Produktionsstätte in Neuss wird geschlossen.

Werksschließung: „Whitesell wird sich noch wundern“
Foto: Stefan Büntig

„Wir hatten schon mit einer schlimmen Nachricht gerechnet, aber das war ein Schock für alle“, berichtet Rolf Nilgen. Der mittlerweile 61-Jährige ist Mitglied im Betriebsrat. „Auf unsere Bitte hin hat die Geschäftsleitung die Restrukturierungspläne der Belegschaft persönlich vorgestellt. Das war erst ein ziemliches Durcheinander, das steigerte sich dann in Unruhe und Wut.“

Das 140 Jahre alte Unternehmen, das mit der Erfindung des Inbus-Schlüssels weltberühmt wurde, hat in den letzten fünf Jahren zwei Insolvenzverfahren durchlaufen. „Aus der Insolvenz mit Ruia 2012 sind wir gut rausgekommen. Vor lauter Aufträgen wurde an jedem Wochenende gearbeitet. Wir hatten damals 50 Großkunden — quasi die komplette Autoindustrie“, berichtet Nilgen.

Im Januar übernimmt Whitesell. „Wir haben das früh gemerkt und uns gegen die Übernahme gewehrt, auch die Großkunden haben sich gewehrt. Whitesell hat die Preise um fast 40 Prozent angehoben. Nach sechs Monaten sind nur noch drei Großkunden übriggeblieben.“

Doch Whitesell ziehe sein „Programm des Vernichtens“ weiter durch. Die Lager seien voll mit fertigen Teilen, die die Kunden nicht bezahlen wollten. Nilgen ärgert sich: „Der Automobilindustrie geht es gut. Überall werden Sonderschichten gefahren und wir haben keine Arbeit. Langfristig gehen wir so pleite. Ein Betrieb, der keine Kunden hat, findet auch keinen Investor.“

Auch das Werk in Schrozberg, das das US-Unternehmen neben den Standorten Neuss, Neuwied und Beckingen betreibt, soll wohl geschlossen werden.

Für Rolf Nilgen hat sich das Vertrauensverhältnis zu seinem Arbeitgeber komplett verändert. „Ich habe schon viele Übernahmen mitgemacht und neue Besitzer kennengelernt. Mit jeder Übernahme ist die Situation schlechter geworden.“

Das Werk sei sein zweites Zuhause. „Sehr viele sind sehr lange da. Das sind keine Arbeitsverhältnisse mehr, das sind Freundschaften“, sagt der 61-Jährige.

Rolf Nilgen ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder. In die Zukunft blickt er skeptisch: „Ich bin jetzt 61, wer nimmt mich denn noch? Aber auch für die jungen Kollegen ist es schlimm. Die Azubis müssen die Ausbildungsstelle wechseln. Ich kenne viele Leute, die gerade eine Familie gründen. Die verzweifeln.“

Für seinen Arbeitgeber hat Rolf Nilgen eine klare Ansage: „Wir sind keine Lemminge und auch kein Schlachtvieh. Wir sind alle kampferprobt. Und wir werden kämpfen, da wird Whitesell sich noch wundern.“

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