Rhein-Kreis Neuss: Wiever übernehmendie Macht

Die Straßen und Plätze im Rhein-Kreis Neuss gehören den Närrinnen. Tausende jecke Weiber schunkeln in den Straßenkarneval.

Kaarst

Die Möhne sind los! Schon um 11 Uhr gibt’s für die Kaarster Damen kein Halten mehr. Mit vereinter Kraft rütteln sie an der Glastür des Rathauses und klopfen gegen die Scheiben. "Aufmachen", fordern sie lautstark. Doch die Rathaus-Mitarbeiter bleiben hartnäckig. Erst um Punkt 11.11 Uhr lassen sie die jecken Damen rein.

Im Foyer macht sich Bürgermeister Franz-Josef Moormann für den Ansturm bereit: Den großen Schlüssel aus Holz hält er fest in den Händen. Als ein paar der Möhne ihn an sich reißen wollen, kommen Moormanns Stellvertreter Heinrich Leßmann und Matthias Kluth sowie der Technische Beigeordnete Manfred Meuter und andere Verwaltungsmitglieder zur Hilfe.

Sieben Männer gegen sieben Frauen - wer wird gewinnen? "Himmel, sind die Weiber stark", stöhnt Moormann schließlich, und die Männer geben sich geschlagen. Unter lautem Jubel und viel Applaus halten die Damen den Schlüssel in die Höhe. Bis Aschermittwoch regieren nun Narren im Rathaus und in ganz Kaarst. "Mir sind die Hände gebunden, ich kann nichts mehr tun", jammert der entmachtete Bürgermeister.

Jetzt gilt es noch, den Stadtschatz zu ergattern. Den hat Bürgermeister Moormann dieses Jahr in der Rathaus-Galerie versteckt. Die ist zum ersten Mal Schauplatz des jecken Altweiber-Treibens. "Hier haben die ganzen Menschen viel mehr Platz", erklärt Kulturmanager Klaus Stevens. Mit einer Polonaise ziehen die Möhne in die Galerie. "Den Schlüssel ham’ wir, das Geld kriegen wir auch noch", feuert Obermöhne Ulla Bussmann ihr Weibergefolge an.

Vor der Bühne versucht Kämmerer Hans Dieter Vogt, die mit Schokoladen-Geld gefüllte Schatztruhe vor den Damen zu verteidigen. Vergeblich - und das, obwohl er sich extra dafür Boxhandschuhe angezogen hat. An Aschermittwoch haben nun mal die Frauen das Sagen. Ruck-zuck ist die Truhe geöffnet, und die Möhne werfen die Schoko-Scheine in die bunte Menge. Kaarst Helau!

Vor dem "weißen Haus" der Stadt singen schon vor dem Beginn des Straßenkarnevals um 11.11 Uhr rund 400 Jecke die Gassenhauer der Session. Währenddessen schunkelt die Verwaltung noch siegessicher durch das Rathaus. Die Jecken draußen lassen sich durch Reiner Landsch von den Karnevalsfreunden Grielächer tüchtig einheizen.

Spaß an der Freud haben die schunkelnden Jecken, als die Winzlinge der Tanzgruppe Gustorf-Gindorf auftreten. Die jüngste der 15 Blue-Birds, wie die Truppe heißt, ist Sophia (3). Energisch wirft sie die Beine in die Luft und stemmt die Hände in die Hüften. Nur ganz selten muss Nicola Baumann die Kleinen vom Bühnenrand aus dirigieren. Die Schülerin trainiert die Gruppe gemeinsam mit ihrer Mutter.

Während die Kleinsten tanzen, hat sich Bürgermeister Axel Prümm im Rathaus verschanzt. "Der Bürgermeister bibbert schon und stemmt sich von innen gegen die Tür", sagt Holger Günther, Vizepräsident der Grielächer. Dann dringt Poltern aus dem Rathaus, Konfetti fliegen aus dem Fenster, Luftschlangen segeln aus dem Innersten der Verwaltung - die Machtübernahme der Jecken ist nah.

Um 12.11 Uhr zeigt sich dann "das Schönste, was Grevenbroich zu bieten hat" (Reiner Landsch), das Gustorfer Dreigestirn auf der Bühne. Und im Schlepp haben Prinzessin Andrea, Bauer Gerda-Marie und Jungfrau Beate einen gefesselten Bürgermeister Axel Prümm. Der hatte noch versucht, sich als Harlekin verkleidet unter die Narren zu mischen - vergeblich.

"Heute schon verlangen die Narren meinen Thron, da werd ich mich nicht zieren, da die Frauen heut’ regieren", reimt Prümm. Doch bevor er dem Dreigestirn die Schlüssel übergibt, gönnt er sich noch eine Spitze. "Die Schuldenuhr muss weg, dabei erfüllte sie nur einen guten Zweck." Unverständnis sei eben oft der Lohn, schickt Prümm noch einen letzten Satz übers Mikro, bevor ihn das Dreigestirn abführt.

Für einige Beteiligte ist die närrische Schlüsselübergabe vor rund 1.300 Möhnen auf dem Balkon des Rathauses eine Premiere, für andere eine Abschiedsvorstellung. Zu denjenigen, die zum letzten Mal im Mittelpunkt stehen, gehört Heinz Hilgers, der sein Bürgermeisteramt im Herbst abgeben wird.

Für ihn sei dieser letzte Auftritt ein großer Moment, seit der ersten Schlüsselübergabe auf dem Rathausbalkon im Jahr 1989. Trotzdem habe er das Gefühl, dass schon kurz vor Karneval die Politik begonnen habe, verrückt zu spielen: Erst werde die Kommunalwahl auf das Neusser Schützenfest verlegt, und nun habe er auch noch gehört, dass die Landtagswahl 2010 auf Rosenmontag terminiert würde, scherzte Hilgers.

Zu seinem letzten Karnevalsauftakt als Bürgermeister erhält Hilgers als besondere Ehrung den Verdienstorden der KG Rot-Weiß Feste Zons, den ihm deren Vorsitzender Hubert-Wilhelm Wimmer überreicht. "Dieser Orden wird nicht oft verliehen und ist wirklich eine große Würdigung seiner Verdienste", sagt Hubert-Wilhelm Wimmer. Stolz ist die KG Rot-Weiß Zons aber auch auf einen aus ihren eigenen Reihen, der beim Altweiberauftakt zum ersten Mal als Prinz auf dem Balkon stehen durfte: Peter V. (Pick).

Singende Prinzen gab es bei der KG Zons zwar schon viele, aber ein blinder Karnevalsprinz ist auch für die Dormagener eine Premiere. Für Peter Pick, der von Geburt an nicht sehen kann, ist der Auftritt als Prinz trotz seiner Bühnenerfahrung außergewöhnlich: "Für mich ist diese Zeit das Beeindruckendste, was ich je erlebt habe."

Er kennt sonst keinen anderen blinden Prinzen und findet es daher wichtig, den Menschen zu zeigen, dass man sich als blinder oder behinderter Mensch nicht zu verstecken braucht, sondern, dass man zur Gesellschaft gehört. "Ich finde es toll, wie die Leute auf mich reagieren, alle sind sehr freundlich und ich fühle mich trotz des Gewühls und des Trubels um mich herum sehr wohl."

Hervorragend unterstützt werde er von Prinzessin Anja I., die ihm auch auf unbekanntem Terrain zur Seite steht. Derweil holten sich das Dormagener Dreigestirn der KG "Ahl Dormagener Junge", Prinz Jens I., Bauer Rudi und Jungfrau Heidi sowie Kinderprinz Fabian den Schlüssel fürs Dormagener Rathaus, wo die Narren in den nächsten Tagen regieren werden.

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