Neusser Biologe forscht im ewigen Eis

Ulrich Freier leitet auf dem Forschungsschiff „Polarstern“ eine Expedition in die Antarktis. Touristen zeigt er die Auswirkungen des Klimawandels.

Holzheim. Als die „Polarstern“ an den Kais von Bremerhaven losmacht, steht der Kurs fest: immer weiter nach Süden, immer weiter Richtung Antarktis. Jenen kalten Kontinent, in dessen Gletschern 90 Prozent des ewigen Eises weltweit zusammengeballt sind und der Winter garantiert weiß ist. „Es gibt keinen Ort auf der Welt, wo man die dimensionslose Weite des Eises und des Ozeans unmittelbarer spüren kann“, sagt Ulrich Freier. An diesem kalten und fast menschenleeren Ende der Welt wird es im derzeit herrschenden antarktischen Sommer kaum dunkel.

Der promovierte Meeresbiologe aus Neuss wird dem Forschungsschiff „Polarstern“ als Forschungsleiter folgen und am 13. März, kurz bevor auf der südlichen Hemisphäre der Herbst beginnt, an der Südspitze Chiles an Bord gehen. 20 Jahre nachdem er sich mit einer ersten Expedition zum Südpol einen Lebenstraum verwirklichen konnte, wird das seine sechste Mission ins Eis sein — und die dritte deutsche, die er als Tauchexperte leitet. Bis Ende Mai, wenn sich der antarktische Herbst schon dem Ende zuneigt und sich rund um die Antarktis wieder das Meereis bildet, wird sein Schiff unterwegs sein. „Wir erwarten relativ stürmisches Wetter und hoffen, dass es die Tauchgänge nicht gefährdet“, sagt Freier.

Bevor sich der Neusser mit der Frage beschäftigt, wie sich die von Norden vordrängenden Salpen — den Quallen ähnliche gallertige Lebewesen — auf den Krillbestand im Eismeer auswirken, hat er noch eine andere Mission. Zunächst wird er mit Kreuzfahrtpassagieren an Bord der „Hanseatic“ an den Rand des antarktischen Packeises reisen und ihnen dabei vor Augen führen, welche Folgen der Klimawandel am Pol schon zeigt. Für ihn selbst und für die Menschheit sei der Klimawandel ein Riesen-Thema, sagt Freier, das aber in der Politik noch immer nicht angekommen sei. „Man müsste alle Entscheidungsträger drei Monate auf ein solches Schiff sperren“, sagt er. Für den Erkenntnisschock.

Dass er als Referent und Experte nicht engagiert wird, um den Luxusurlaubern zwischen „Sundowner“ und „Captain´s-Dinner“ mit Berichten von Ozeanerwärmung und Versauerung der Meere das Gruseln zu lehren, merkt Freier an den Reaktionen der Zuhörer. Diese Leute hätten in der Regel beruflich einiges erreicht und wollten sicher etwas erleben, sagt er, doch sie seien auch offen für neue Themen, verständen sich als Teil einer Expedition. „Nachher fühlen sich viele als Botschafter für die Antarktis“, sagt Freier.

Ziel der „Hanseatic“ ist die Westantarktis — der artenreichste Teil des Südpols und zugleich, so Freier, der Teil des Planeten, der sich am schnellsten erwärmt. Die Kreuzfahrturlauber hätten die Vorstellung, dort in ein intaktes Ökosystem einzutreten, sagt Freier, und das sei auch nicht ganz falsch. „Das Ökosystem passt sich an, weicht aus, ist dem Wandel unterworfen“, schiebt er ein großes „Aber“ nach.

Von dieser Erkenntnis ausgehend wird Freier dann im März zu seinen Tauchgängen am Rand des Eises und der Gletscher tauchen. Dort ist die Heimat des Krill, jener wirbellosen Kleinstkrebse, die in diesem — durch den Zirkumpolarstrom erzeugten — abgeschlossenen Ökosystem (mit dem Plankton) die Basis der Nahrungskette bilden. 2013, bei seiner vorerst letzten Tauchexpedition, widmete er sich der Frage, wie der Krill und seine Larven den antarktischen Winter überstehen. Nun fragt er, welche Folgen das Vordringen der Salpen in den Lebensraum des Krill hat — und ob diese Expansion auch Anzeichen oder Folge des Klimawandels ist. Salpen sind ohne Eiweiß und daher kein Nahrungsangebot.

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