Neuss: rätselhaftes Fahrrad mit Davidstern

Im Antiquitätengeschäft: Das Kinderrad wurde nie abgeholt. Jetzt wird es Exponat eines künftigen Museums in Köln.

Neuss/Köln. "Ich habe lange genug gewartet, aber mein jüdischer Freund kommt wohl nicht mehr zurück", sagte der ältere Herr und fügte hinzu: "Nehmen sie bitte dieses Fahrrad, bei Ihnen ist es gut aufgehoben." Darauf verließ der Mann den Laden für Kunst und Antiquitäten an der Neusser Klarissenstraße und ließ neben dem sorgsam in Zeitungspapier eingewickelten Kinderfahrrad einen überraschten Inhaber zurück. Vor etwa zwei Jahren hat sich diese Szene im Geschäft von Engelbert Pauls zugetragen.

"Ich weiß nicht, wer der ältere Herr gewesen ist, und ich weiß leider auch nicht, was das Fahrrad für eine Geschichte zu erzählen hat", erinnert sich der Antiquitätenhändler heute an den Besuch des Mannes, "der sicherlich 80 Jahre alt gewesen sein muss".

Die inzwischen vergilbten, aber noch gut leserlichen Zeitungspapiere sind die Reste der Morgenausgabe einer Zeitung aus Stuttgart vom 17. August 1936. An der Gabel befindet sich ein hessisches Landeswappen mit einem Löwen, der einen Maulschlüssel in einer Pranke hält. Darunter steht der Namenszug "Stackenburg", eine Burg in der Nähe von Heppenheim - oder der Name des Herstellers? Das auffälligste Symbol befindet sich jedoch über dem Wappen: ein kleiner Davidstern mit zwei kaum zu entziffernden Initialen.

Wie kam dieses Fahrrad nach Neuss? Das fragt sich auch Engelbert Pauls, der sich unter anderem auf Judaica - schriftliche, kunsthandwerkliche oder rituelle Gegenstand jüdischer Provenienz - spezialisiert hat. Deshalb habe er seinerzeit auch das Fahrrad erhalten, erinnert sich der Neusser an den Besuch des älteren Herrn. "Der Vater seines Freundes sei Apotheker gewesen, hat er noch gesagt."

Ob es sich um eine Familie aus Neuss gehandelt hat, die Mitglied der jüdischen Gemeinde an der Promenadenstraße gewesen ist? Sicher scheint, dass das Fahrrad aus einer finanziell gut gestellten Familie stammt.

"So ein Rad ist schon als Fahrrad für einen Erwachsenen etwas ganz Besonderes und Teures, und das nun für ein Kind - und das in dieser Zeit...", stellt Pauls nachdenklich fest. Vielleicht musste die Familie, die das Fahrrad dem Freund zur Aufbewahrung überlassen hatte, emigrieren. Die akkurate Verpackung in die Zeitung von 1936 legt das nahe. Die Deportationen jüdischer Menschen in die Vernichtungslager begannen erst 1941.

Mittlerweile steht das Rad in Köln bei Helmut Fußbroich. Der ist ein guter Bekannter von Max Tauch, dem ehemaligen Chef des Clemens-Sels-Museums. Tauch hatte den ihm gut bekannten Pauls darauf hingewiesen, dass Fußbroich als Geschäftsführer eines Kölner Vereins tätig ist, der in der Domstadt ein "Haus und Museum der jüdischen Kultur" errichten will.

Wie sein bislang unbekannter Kunde ist auch Pauls erleichtert, dass das Fahrrad nun gut untergebracht ist und möglicherweise zu den Ausstellungsstücken des geplanten Museums gehören wird. Vielleicht hat sich bis dahin auch die noch weitgehend unbekannte Geschichte des Zweirads und seiner vormaligen Besitzer klären lassen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort