Neuss: Hoffnung nach Jahren im Knast

Hilfe: Das Haus Lebensbrücke nimmt Obdachlose auf, die süchtig oder auch aggressiv sind.

Neuss. Einige sind gekommen mit nichts als den Kleidern am Leib. Den Beruf, die Liebe, die Familie, die Achtung, das Geld, die Zukunft und die Hoffnung: Drogen oder die Jahre im Knast haben alles aufgefressen. Manchmal auch die Erinnerung an das eigene Leben.

Das Haus Lebensbrücke an der Normannenstraße, eine stationäre Hilfseinrichtung der Stadt, ist der Ort, zu dem Wohnungslose kommen: Dann, wenn sie außer dem nackten Leben und vielen Problemen nichts mehr haben.

38 Plätze hat das 1965 gegründete Haus, damals als Heim für Nichtsesshafte. "Heute wird bei uns aufgenommen, wer neben der Wohnungslosigkeit auch ein schweres persönliches Problem hat", sagt Harald Jansen, Leiter der Einrichtung und seit 25 Jahren in der Lebensbrücke.

Wer in das Hauses an der Normannenstraße gehen will, muss an dutzenden Grabsteinen vorbei, die vor dem Eingang stehen. Die Wiese vor dem Haus hat die Stadt an einen Steinmetz verpachtet.

"Makaber, oder? Unsere Grabsteine stehen wohl schon bereit. Naja, ist aber auch ’ne Mahnung für mich", sagt Ralf K.. Der 46-Jährige ist seit fast einem Jahr im Haus Lebensbrücke. Sein Problem ist seine Aggression. Wenn Ralf K. Stress hatte, schlug er zu.

Insgesamt 14 Jahre hat er deshalb gesessen. Bei seinem letzten Wutausbruch schlug er einen Menschen, der ihn tief gekränkt hatte, zusammen. Und das so brutal, dass der Staatsanwalt von versuchtem Totschlags ausging und Ralf wegen schwerer Körperverletzung zu acht Jahren Haft verurteilt wurde.

Nach Verbüßung seiner Haftstrafe muss der trainierte Boxer jetzt Therapien gegen die Aggressionen machen. Weil er - frisch aus dem Knast - keine Wohnung hatte, verhalf ihm seine Bewährungshelferin zu einem Platz in der Lebensbrücke. Dort bekommt er jede Hilfe und hat im Haus ein Box-Programm aufgebaut. Er arbeitet an sich - doch bis er seine Aggressionen in jeder Situation im Griff hat, wird es noch dauern. "Aber Ralf ist auf dem besten Weg, es diesmal zu schaffen", sagt Jansen. Vor allem das Boxen gibt ihm die Chance, seine Aggressionen abzubauen.

"Zu uns kommen immer öfter junge Menschen. Momentan sind die meisten unter 29", sagt Jansen: "Für sie sind wir die letzte Anlaufstation." Denn das Haus nimmt auch Süchtige auf, eine Seltenheit in stationären Einrichtungen. Das erfordert strenge Regeln. Dazu gehört, dass Drogenbesitz und Konsum im Haus verboten sind. "Gemeinsam arbeiten wir daran, die Situation der Bewohner zu verbessern und sie in ein eigenständiges Leben zu führen", sagt Jansen.

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