Auch Kaarst hat einen „Reichsbürger“

Erhard L. erkennt die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht an. Sicherheitsbehörden stufen die „Reichsbürger“ als gefährlich ein.

Kaarst. Wer die Internetseite von Erhard L. besucht, könnte meinen, dass es sich um die Onlinepräsenz eines Satire-Magazins handelt. Doch allem Anschein nach meint es dieser Mann ernst. Erhard L. hat sich selbst zum „Staatssekretär des Deutschen Reichs“ ernannt. Von Vorst aus verwaltet er mehr als 18 Fantasie-Ämter, die unter www.reichsamt.info aufgelistet sind — unter anderem die „Deutsche Reichsdruckerei“, ein „Reichsschatzamt“ und sogar die „Reichspolizei“.

Der Kaarster hat für sein Konstrukt viele einzelne Internetseiten erstellt. Auf einer gibt er 13 Schritte zur „Befreiung Deutschlands“ an. Erster Schritt sei die Anerkennung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913, gefolgt von der „Anerkennung und Annahme des Staatsgebietes, wie es 1913 beziehungsweise am 31. Juli 1914 bestand“. Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 bis 1918 gelte auch heute noch. Alle danach folgenden Reichskanzler und auch Bundeskanzler seien von einer Fremdverwaltung bestimmt und eingesetzt worden. Die Existenz der Bundesrepublik erkennt der Kaarster nicht an. Er sieht seine Aufgabe darin, sich für „eine bessere Weltengemeinschaft“ einzusetzen. Anderen Webseiten hält er vor, Fehlinformationen zu verbreiten.

Wer Teil seines „Reichs“ werden möchte, muss zahlen. So können Interessierte etwa Reichs-Personenausweise (30 Euro), Reichs-Fahrerlaubnisse (30 Euro) oder Reichs-Gewerbeanmeldungen (20 Euro) über das Internet kaufen. Seine gesetzliche Amtsanschrift des „Reichspräsidialamtes“ gibt er an mit Spreeweg 1, also der Adresse des Schlosses Bellevue — seine „Ämter“ leitet er jedoch aus Kaarst. Für eine Stellungnahme war Erhard L. trotz mehrmaliger Versuche nicht zu erreichen.

Mit seinen Tätigkeiten hat sich der Kaarster anscheinend schon Feinde gemacht. So schreibt ein Mann auf einer Internetseite, dass er erster Schriftführer und Delegierter bei L. gewesen sei. L. habe Tausende Euro von ihm kassiert. Details über die Machenschaften werden jedoch nicht genannt.

Die sogenannten Reichsbürger sind in den vergangenen Tagen verstärkt in den Fokus geraten. Im mittelfränkischen Georgensgmünd hatte ein Mann aus der Szene auf Polizisten geschossen — vier Beamte wurden dabei verletzt, zwei von ihnen schwer. Ein Mann erlag später seinen schweren Verletzungen und starb.

Das Thema wurde am vergangenen Mittwoch im Innenausschuss des Landtags intensiv beraten. Nach Einschätzung der NRW-Sicherheitsbehörden geht von den sogenannten Reichsbürgern weiterhin Gefahr aus. Angesichts des „erkennbar hohen Mobilisierungspotenzials gewaltbereiter Personen innerhalb der Szene“ müssten gewalttätige Aktionen weiter einkalkuliert werden, heißt es in einem Bericht des Innenministeriums. Es schätzt die Zahl der Reichsbürger in NRW auf bis zu 300. Innenminister Ralf Jäger bezeichnete die „Reichsbürger“-Bewegung als ein „Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme, Holocaust-Leugner und Querulanten“.

Im Rhein-Kreis haben die Grünen Landrat Hans-Jürgen Petrauschke schriftlich aufgefordert, in der Sitzung des Kreisausschusses am kommenden Mittwoch, 2. November, Fragen zum Thema Reichsbürger zu beantworten. Unter anderem soll erklärt werden, welchen Kenntnisstand die Verwaltung hinsichtlich der Organisationsstärke und Zusammensetzung von sogenannten Reichsbürgern im Rhein-Kreis Neuss hat.

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