Eine Neusser Familie Maximilian ist Autist — was das für das Leben seiner Eltern bedeutet

Jeder Tag eine neue Herausforderung. Wie eine Neusser Familie mit ihrem Schicksal zurechtkommt.

Eine Neusser Familie: Maximilian ist Autist — was das für das Leben seiner Eltern bedeutet
Foto: Sabine Frank

Neuss. Maximilian ist 20 Jahre alt. Und er bestimmt das Leben seiner Eltern weit mehr als dies andere junge Männer in seinem Alter tun. Nicht erst seit gestern. Denn Max ist Autist.

Seine Eltern Sabine und Jürgen Frank kämpfen ihn jeden Tag — den Kampf, den das mit sich bringt. Und doch gehen sie, wie sie sagen, immer wieder über ihre Grenzen hinaus. „Das Leben dreht sich nur um Maximilian“, sagt der 58-jährige Jürgen Frank: „Er beansprucht uns vollständig. Eigene Interessen, gleich welcher Art, haben hinten anzustehen.“ Sabine Frank ergänzt: „Wir leiden besonders unter fehlenden sozialen Kontakten, die einerseits schwer herzustellen sind und auch oft nicht aufrechterhalten werden können.“

Als Max drei Jahre alt war, erhielten die beiden zunächst die Diagnose „geistige Behinderung, einhergehend mit mentaler Retardierung“. Vor sechs Jahren dann der nächste Schock: Autismusspektrumsstörung. Max kann zwar fließend sprechen und ist körperlich nicht eingeschränkt. Wohl aber ist er inkontinent. Schreiben oder Lesen sind für ihn unerreichbare Fähigkeiten. Und er ist für seine Umwelt schwierig, das geben auch seine Eltern unumwunden zu: „Er ist bei weitem kein leichter Fall, aufgrund seines stark eigeninteressierten Verhaltens, seinen autistischen Auffälligkeiten“, sagt seine Mutter.

Das kann zum Beispiel eine heftige Wortwahl sein, mit Beleidigungen, die er im Fernsehen aufgeschnappt hat und im Gespräch dann einfach wiederholt. Und, wie das für Autisten typisch ist, kann er emotionale Signale nicht richtig deuten, schaut dem Gesprächspartner nicht in die Augen, hält in Anwesenheit von Fremden die Hände vor sein Gesicht.

Gefragt nach Inselbegabungen, die Autisten ja auch auch häufig haben, zeigt sich Jürgen Frank stolz und froh, auch mal etwas Positives über seinen Sohn sagen zu können. „Wenn wir mit dem Auto irgendwo hinfahren, erkennt Max Strecken exakt wieder, auch die, die wir vor längerer Zeit gefahren sind, weiß wo es langgeht.“

Die Eltern geben alles, um ihren Sohn möglichst viel von Fernseher, Computer und den Computerspielen wegzubekommen, „deren Funktionsweise er sich hartnäckig erarbeitet“, wie seine Mutter sagt. Und wann immer möglich, fahren sie mit ihm auf Messen wie die „Boot“ oder „Caravan“, zu Schützenfesten, zur Kirmes oder in Kaninchen-Ausstellungen. „Und er liebt Eisenbahnen“, sagt Jürgen Frank.

Aber die Eltern haben für sich nur einen kleinen Radius. Für die heute 52 Jahre alte Sabine Frank gab es nie die Chance, eine Arbeit zu suchen. Sie musste halt immer da sein für den Sohn. Auch wenn sie nur ein Kind hat, aber dafür ein so „raumfüllendes und erdrückendes“, wie ihr mal ein Psychiater gesagt hat. Und Jürgen Franks Laufbahn als Polizist wurde auch in Mitleidenschaft gezogen. „Ich bin mittlerweile selbst schwerbehindert, habe schwerwiegende Probleme mit meiner Arbeit gehabt, die letztendlich dazu führten, dass ich karriere-beförderungsmäßig am Ende der Schlange stehe. Es gab viele krankheitsbedingte Ausfälle“, sagt der Autobahnpolizist.

Wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel mutet sein ständiges Auseinandersetzen mit Behörden an. Max ist zwar nach jahrelangem Kampf in Pflegestufe zwei eingeordnet, das hilft ein wenig finanziell, doch das kann die seit Jahren durchgestandene Dauerbelastung ohne echte Perspektive auf Besserung nicht aufwiegen.

Wenn die Eltern in ihrem kleinen Neusser Einfamilienhaus auf die Vergangenheit zurückblicken, wird das deutlich: Die Phase im heilpädagogischen Kindergarten war noch die beste Zeit, sagen sie heute. Mit der Einschulung in die Förderschule gingen dann aber die Probleme so richtig los: Max wurde gemobbt, schlief nicht mehr, machte die Nacht zum Tag. Zeitweise musst man ihn in den Schulbus schieben.

Seit dem vergangenen Jahr besuchte er dann zunächst eine Behindertenwerkstatt, doch zwei Praktika endeten im Fiasko, wie es Jürgen Frank ausdrückt. „Gleichförmige eintönige Verpackungstätigkeiten sind ein Gräuel für ihn. Er darf auch nicht unterfordert werden.“ Max verweigerte sich komplett. Bei einer weiteren Werkstatttägigkeit gab es wieder Probleme und seine Eltern wissen: „Diese Vorfälle, die seiner Behinderung zuzurechnen sind, werden immer wieder vorkommen.“

Mittlerweile gilt Max wie viele andere Autisten als nicht werkstattfähig und muss nun einen tagesstrukturierenden Dienst in Anspruch nehmen. Max bekommt „Arbeit“, die ihm in den Werkstätten nicht angeboten wurde. Die Ergebnisse müssen dabei nicht verwertbar sein. Es geht um eine klare Tagesstruktur an maximal sechs Stunden, und er kann sich bei Bedarf zurückziehen. All das entlastet immerhin die Eltern für ein paar Stunden.

Diese träumen indes davon, irgendwann eine Einrichtung zu finden, in der er sein eigenes Zimmer hat. Und eine Arbeit, die er auch gern macht. Doch solch einen Platz finden sie nicht. Bisher. Dabei denken sie daran, dass sie selbst die Last mit zunehmenden Alter kaum noch werden stemmen können. Pflegende Angehörige, das kennt man, werden selbst am Ende krank. „Unseren Sohn will anscheinend keiner“, sagt Jürgen Frank. Er fällt schlichtweg durch das Raster.“

Doch warum erzählen Sabine und Jürgen Frank das alles, warum geben sie so viel Einblick in ihr Innenleben? Klar, sie wünschen sich, aber auch anderen betroffenen Eltern Hilfe. Wie einen Platz in einer professionellen Einrichtung, mehr Kurzzeitpflegeplätze, um die pflegenden Eltern wenigstens stundenweise oder auch mal ein Wochenende zu entlasten. Und einen Arbeitsassistenten, der ihren Sohn bei der Arbeit unterstützt, ihm beiseite steht.

Aber sie wollen auch ganz allgemein die Öffentlichkeit aufklären. Beim Thema Autismus, so sagen sie, geben beschönigende Berichte nicht die harte Realität wieder. „Wir stehen jeden Morgen mit Bauchschmerzen auf und gehen am Abend mit schweren Gedanken wieder zu Bett.“

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