Bewegte Schützengeschichte

Von Stefan Reinelt

Das Jahr 1927 erfährt in der Geschichte des Neusser Bürger-Schützen-Vereins in mehrerer Hinsicht besondere Erwähnung. Im Vorjahr hatte überhaupt erstmals nach dem Ersten Weltkrieg und der Besatzungszeit ein Schützenfest im alten Stil stattgefunden, nun wurde auch die 100-Jahr-Feier des 1823 gegründeten Vereins nachgeholt, und mit 1270 Marschierern und Musikern trat das bis dahin größte Regiment auf. Die Eindrücke davon wirkten bei einigen männlichen Zuschauern nach und bewegten sie dazu, in den darauffolgenden Wochen einen eigenen Schützenzug zu gründen.

Gleich drei Schützenzüge der Gründungszeit 1927 bestehen auch heute noch und feiern mit dem 90. Geburtstag das größte Jubiläum aller Züge in diesem Jahr: die Jägerzüge „Edelwild“ und „Grüne Heide“ sowie der Grenadierzug „Mer dörve“. Letzterer ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Zug aus der Schützengilde, der aktuell sein 25-Jähriges feiert.

Nicht selten sorgt bei solch alten Zügen der Lauf der Zeit mit den Generationen- und Mitgliederwechseln sowie die Wirren des Krieges dafür, dass Informationen und Dokumente über die frühen Jahre der Gemeinschaft verloren gehen oder nicht weitervermittelt werden, der Nachwelt also nicht erhalten bleiben. Nicht so bei „Edelwild“, er gehört vielleicht zu den am besten dokumentierten Schützenzügen.

Zwei handgeschriebene Chroniken, ergänzt um zahlreiche Schwarz-weiß-Fotos, sind ein wertvolles Stück Zeitgeschichte. Nach einer fachgerechten Restaurierung durch das Stadtarchiv werden die beiden Bände heute vom Rheinischen Schützenmuseum gehütet. Auch beim Grenadierzug „Mer dörve“ sind die ersten Daten noch bekannt.

Am 15. Oktober 1927 fand die erste Versammlung in der Gaststätte „Sackermann“ statt. Dort wurden sie von Wirt und Gästen „stark auf die Schüppe genommen“, heißt es in der diesjährigen Festschrift ihres Grenadierkorps, sodass die nächste Versammlung — nur vier Tage später — im „Schärpe Eck“ stattfand. Die jungen Männer fühlten sich sichtlich gut aufgehoben und es blieb bis weit nach Kriegsende ihr Stammlokal.

In den Erinnerungen des Jägerzugs „Grüne Heide“ wird auf die Besonderheit eines eigenen Vereinslieds hingewiesen, in dem es heißt: „Im Jahre 1927, da war’s ne kleine Schar, die für die Freud und die Jägerei begeistert war.“

Der Zweite Weltkrieg schreibt verständlich sein eigenes Kapitel in den Zuggeschichten, mit unterschiedlichem Ausgang. Während „Mer dörve“ keine Gefallenen in ihren Reihen zu betrauern hatte, verlor „Edelwild“ gleich vier Kameraden im Krieg.

Gemeinsam haben alle drei Schützenzüge, dass sie den richtigen Zeitpunkt zum Generationenwechsel erkannten, denn sonst würden sie jetzt nicht ihr großes Jubiläum feiern können und durchaus auch zuversichtlich schon auf das 100-Jährige schielen.

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