Kirchen in NRW St. Matthäus in Düsseldorf: Eine Stadtlandschaft aus Burgen und Türmen

Die Sommer-Serie der Westdeutschen Zeitung „Neue Steine des Glaubens“ lädt zur Wiederentdeckung des Baus moderner Kirchen, Synagogen und Moscheen ein, die oft zu Unrecht im Schatten mittelalterlicher Dome stehen. Diesmal steht St. Matthäus von Gottfried Böhm in Düsseldorf-Garath im Mittelpunkt.

Düsseldorf. Der Düsseldorfer Stadtplaner Friedrich Tamms ließ seit 1956 ein Bebauungskonzept für die Trabantenstadt Garath entwickeln. 1963 zogen die ersten Bewohner ein. Am 20. September 1970 wurde die Kirche Sankt Matthäus von Gottfried Böhm geweiht. Ein grandioses Beispiel moderner Architektur.

Kirchenführerin Elvira Benner spricht von der „kleinen Schwester vom Mariendom in Neviges“, für die der Kölner Architekt 1986 den Pritzker-Preis erhielt, den Nobelpreis gleichsam für Architektur. Gleich nach der Fertigstellung in Neviges fing Böhm in Garath an. Er schuf eine gesamte Baugruppe mit Kirche, Pfarrzentrum, Hildegardisheim und Hospiz sowie einigen Bürgerhäusern rund um einen fast mittelalterlich anmutenden Marktplatz. Der gesamte Komplex steht unter Schutz.

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Denkmalschützer Jörg Heimeshoff spricht in höchsten Tönen von dem „herausragenden Zeugnis des Kirchenbaus der Nachkriegszeit“. Er lobt die „plastische Durchbildung der Baumasse“, die „Monumentalplastik“ des Solitärbaus. Gottfried Böhm sei der „wichtigste Interpret der skulptural-neoexpressionistischen Architekturströmung in Deutschland“. Mit dem benachbarten Gemeindezentrum und dem Altenheim stelle die Kirche, so Heimeshoff, ein „Gesamtkunstwerk“ da. Seine Architektursprache sei radikal modern.

Gottfried Böhm, der inzwischen 97-jährige Baumeister, hält nichts von der Abschottung einer Kirche. Sein Gotteshaus öffnet sich, sucht den Dialog zwischen Außen- und Innenraum. Überall gibt es Durchbrüche, Ausblicke, Einbuchtungen, Nischen, Emporen und Balkons. Eine Stadtarchitektur im Innenraum wie zum Platz hin.

So verbindet Böhm das Sakrale mit dem Profanen, Rundtürme mit Kuben, Beton mit Farbe, kleinteilige, gebrannte Ziegel mit grauem Beton. Im Aufbau kontrastieren ineinander geschachtelte Quader mit Rundtürmen und runden Ecken. Dennoch meint man, eine Art Vierungsturm zu sehen, dessen mehrfach gebrochenes Zeltdach eine Spitze hat, die den höchsten Punkt des Gesamtkomplexes markiert.

Böhm liebt die Überraschungen. Über einen runden Vorbau, dessen Bodenziegel die Rundung aufgreifen, und durch eine fast schon normale, rote Tür geht es ins Innere. Hier spürt man sofort die divergierenden Kräfte in der aufgehängten Betonkonstruktion, bei der sich die Wand- und Deckenelemente gegenseitig stützen und die kolossalen Deckenelemente abfangen.

Es erstaunt eine Klarheit, die nicht puristisch wirkt. Dennoch fallen Besonderheiten auf. So gibt es kein Kuppelauge, keinen Laternenturm zur Belichtung des Inneren. Das Tageslicht fällt seitlich ein. Die Spitze bleibt dunkel.

Was zum Teufel mag diesen Bauschöpfer geritten haben, den höchsten Punkt der Kirche unter der Vierung im Dunkel zu lassen? Doch die Dunkelheit hat bei Böhm System, denn er weiß mit dem Licht souverän umzugehen. Es fällt seitlich ein, durch schmale Luken und breite, große Glasfenster, die sich wie im Bauhaus mit einem Zugsystem öffnen lassen. „Lichtbrunnen“ nennt es Elvira Benner. Mehr noch: Das Licht springt auf die vielen Vorsprünge, schnellt wie Pingpongbälle von Fläche zu Fläche, als bewege es sich in großen Sprüngen fort.

Der Korpus wechselt vom Backstein im Erdgeschoss, dessen Ziegelsteine liebevoll in der Waagerechten addiert sind, in der Höhe mit dem Allzweckmaterial des 21. Jahrhunderts, dem Sichtbeton. Gegen die perfekte Glätte trägt er einen roten Farbton auf, der typisch für die frühen 1970er Jahre ist. Kirchenführerin Elvira Benner fügt die theologische Interpretation hinzu: „Die blutrote Farbe verweist auf das Blut Jesu, das am Kreuz vergossen wurde.“

Nischen, Emporen, Kanzeln, Logen und Durchbrüche scheinen aus dem Beton gehauen. Dazwischen die von Böhm geliebten Rundungen. So gibt es etwa zwei Türme links und rechts des Altarraums. Der linke Turm erinnert an einen Ziegelofen mit Abzugshaube. Durch eine Nische tritt man ein, steht völlig im Dunkeln und blickt empor. In Burgen gibt es Schächte, die bis tief ins Innere eines Brunnens führen. Hier ist gleichsam das Gegenteil gewählt. Der Turmraum dient als Kapelle für kleine Versammlungen.

Noch deutlicher wird die Architektur im gegenüberliegenden Turm, der Sakramentskapelle. Vor dem Eintritt sind die „Sandalen des Mose“ in den Boden eingelassen. Die Platten bezeugen den Weg zum Tabernakel, aus dem der Priester die geweihten Hostien holt. Der Turm selbst wirbelt sich in die Spitze, empfängt aber sein Licht von der Seite. Dadurch scheinen die Backsteine im menschlichen Auge zu rotieren. Ein visuelles Erlebnis.

Aber selbst Böhm baut immer wieder traditionelle Elemente ein, wie die Kanzel, die über eine Betontreppe emporführt. Sie endet in einer balkonartigen Auswuchtung. Neben ihr öffnet sich ein großes, breites Fenster, hinter dem sich die Bücherei verbirgt. Leseratten genießen den besten Blick ins Kircheninnere.

Der Baukünstler liebt zugleich Details, die den Betrachter schmunzeln lassen. Da sind Kerzenlampen mit gläsernen Hauben wie Windlichter an die Altarwand montiert, mit Banderolen für die Namen von Aposteln. Die Fassungen simpler Glühbirnen wurden einfach in den Beton geschoben. Laternen haben bloße Metallhäubchen an der Außenfassade. Das Taufbecken an der Rückwand der Kirche hat die Umrisse eines Schlüssellochs und ein Fallrohr in der Wand für das Weihwasser. Zu den kuriosen Dingen gehören auch Kieselsteine vom Altrhein in der Tabernakel-Säule.

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