Zeitloser Beruf Hufschmied: Jahrtausendealter Beruf ist in NRW gefragt

Richard Stamm wollte Informatiker werden, jetzt beschlägt der 28-Jährige Pferde. Ein jahrtausendealter Beruf, der im Reiterland NRW so modern ist wie nie zuvor.

Richard Stamm eher zufällig Hufschmied geworden.

Richard Stamm eher zufällig Hufschmied geworden.

Foto: Kinast, Juliane

Dormagen. Dem gescheckten älteren Pferd bereitet es sichtlich Schmerzen, als es einen Huf heben und nur noch auf drei seiner von Arthrose gequälten Beinen stehen soll. Es zieht den Fuß aus den Händen von Richard Stamm und springt mit einem schwerfälligen Satz zur Seite. Der junge Hufschmied folgt dem Wallach ganz ruhig, hebt den Huf erneut ein kleines Stück an.

Wieder zuckt das Pferd vor Schmerzen zusammen und hüpft. Die Szene wiederholt sich noch fünf, sechs Mal. Dann zuckt der alte Schecke, streckt aber daraufhin ganz langsam sein Bein nach hinten aus. Stamm hält den Huf behutsam knapp über dem Boden fest, während er mit der großen Feile daran herumraspelt. „Er muss immer fünf Minuten herumspielen — und dann steht er doch“, sagt er lachend.

Jahrtausendealter Beruf: Hufschmied in NRW
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Der alte Schecke ist eines von mehreren hundert Pferden, die Richard Stamm betreut. Und er hat jüngst aufgrund chronischer Überarbeitung erst seinen Kundenstamm reduziert. Der Beruf des 28-jährigen Dormageners hat eine große Geschichte — die Kelten sollen schon um Christi Geburt Eisen und Nägel für ihre Pferde benutzt haben; ob Asterixheft oder Ritterfilm, der Hufschmied ist dabei. Aber in NRW, dem reiterstärksten Bundesland der Republik (laut Deutscher Reiterlicher Vereinigung gemessen an Mitgliedszahlen in Vereinen), hat er auch eine große Zukunft. „Die Schmiede haben hier alle gut zu tun“, sagt Stamm.

Trotzdem ist Richard Stamm eher zufällig zum Hufbeschlag gekommen. „Eigentlich wollte ich Informatik studieren“, erzählt er lächelnd. „Aber das war mir schnell zu langweilig.“ Wie man von Computern zu Pferdehufen kommt, ist schnell erklärt: „Indem man auf der Informatikschule eine Reiterin kennenlernt“, sagt Stamm und lächelt noch breiter.

Einfach war der Weg in den Job allerdings nicht. „Es ist offiziell kein Ausbildungsberuf mehr“, erklärt Stamm. Zwei Jahre Praktikum habe er bei einem Schmied absolvieren müssen — „ob er dir überhaupt was zahlt, ist vom Ausbilder abhängig“. Dann kosteten ihn vier Monate Lehrschmiede in der Eifel noch 5000 Euro plus die Lebenshaltungskosten vor Ort. Und schließlich war er staatlich geprüfter Hufschmied. „Das wird aber auch jedes Jahr verändert“, meint Stamm überspitzt.

Tatsächlich ist laut Handwerk NRW der Schmied — ausgerechnet — kein Handwerksberuf mehr, die Betriebe wurden in den 80ern allesamt aus der Handwerksrolle gelöscht. Auch bei der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen kann man weder über Ausbildungszahlen, noch über die Abdeckung in NRW oder Durchschnittsverdienst etwas sagen. Laut einem Online-Portal für Existenzgründer ist die Zahl selbstständiger Schmiede rückläufig. Der Dormagener Schmied kann zumindest berichten, was sein Einstiegsgehalt nach der Lehrschmiede war: „quasi nix“ — und das für eine 60-Stunden-Woche. Für ihn stand rasch fest, dass er sich selbstständig machen musste.

Inzwischen hat er in dem kleinen Dormagener Pensionsstall eine Ponystute angebunden. Und vor dem ersten fachlichen Handschlag schon zwei Haufen Pferdeäpfel weggescharrt. Für viele der Tiere ist der Schmiedbesuch alle sechs bis zehn Wochen Aufregung. Nie wird Richard Stamm die erste Stute vergessen, die er selbst angebunden hat, um ihre Hufe zu schneiden. Das Tier war extrem schreckhaft. „Ich glaube, da ist ein Blatt vom Baum gefallen oder so“, erzählt er lachend. Plötzlich warf sich die Stute nach hinten, stemmte sich in Panik gegen den gespannten Strick, bis das Halfter riss und sie hintenüberfiel. Zum Glück passierte damals nichts — und Stamm, der nie etwas mit Pferden zu tun gehabt hatte, verlor nicht den Mut.

Jetzt zieht er geübt die alten Nägel aus den Hufen des Ponys und hebelt mit einer Zange die Eisen herunter. Dann macht er sich mit einem scharfen Messer daran, das nachgewachsene Horn wegzuschneiden. Vorsichtig, um das Tier nicht zu verletzen. Oder sich selbst. Mal wieder.

Mit genau diesem Messer hat er sich vor Jahren die Seite des Daumens abgesäbelt. Sein Beruf schmerzt eindeutig mehr, als es die Informatik getan hätte. Gebissen wird er nahezu täglich — vor allem in Rücken und Hintern, die er den Pferden notwendigerweise immer wieder zuwendet. „Ernsthaft getreten wurde ich erst zwei Mal“, erinnert er sich. Ein Mal zwei Wochen vor der Prüfung, direkt vor die Brust. Etwas in der Lunge platzte, Luft trat in den Brustkorb — ein Pneumothorax. „Das tat schon ziemlich weh.“ Aber eine OP kam so kurz vor dem Abschluss der Lehrschmiede nicht infrage. Stamm verließ sich auf Selbstheilung und absolvierte die Prüfung unter Schmerzen.

Er entzündet seinen mobilen Gasofen, vier Hufeisen für die Ponystute färben sich in der Hitze des kleinen Kastens allmählich knallorange. Dann holt Stamm sie mit einer speziellen Zange heraus, legt sie auf den Amboss und beginnt, sie mit gezielten Hammerschlägen zu formen. Wie schon im Mittelalter. Dabei gibt es inzwischen auch in seinem Metier Trends — Kunststoffeisen etwa, Eisen zum Kleben oder sogar Aluminium-Hufeisen. Super leicht und sehr glänzend — Alufelgen für eine Pferdestärke. Stamms Favorit indes bleibt der Klassiker, alles andere nutze sich zu schnell ab.

Als er zufrieden mit seinem Werk ist, hebt er den Pferdefuß an und presst das Eisen auf den Huf. Es zischt und qualmt gewaltig. Das Pferd rümpft die Nüstern und legt die Ohren an — die Fluchttiere haben eine natürliche Angst vor Rauch und Feuer. Doch die Stute beherrscht sich, sie kennt Richard Stamm seit fast zehn Jahren. Dessen Gesicht taucht derweil aus den Schwaden wieder auf. „Viele alte Schmiede behaupten ja, der Rauch vom verbrannten Horn wäre gesund“, sagt er. „Wenn man eine verstopfte Nase hat, ist die auf jeden Fall sofort frei.“

Ansonsten sind die Begleiterscheinungen seines Berufs eher nervig. Die ständig schwarzen Hände zum Beispiel, die er nur wirklich sauber bekommt, wenn er sonntags vor einem besonderen Anlass eine Dreiviertelstunde in der Badewanne schrubbt. Und: „Die meisten Schmiede sind mit 50 platt“, sagt Stamm. Meist gebe der Rücken auf. Er sorgt schon jetzt für diesen Ernstfall vor. „Zum Glück verdiene ich inzwischen nicht schlecht.“ Dafür arbeitet er sechs Tage die Woche, meist elf bis zwölf Stunden; sein neues Auto, das er vor zweieinhalb Monaten gekauft hat, hat schon 6000 Kilometer auf der Uhr.

Ein jahrtausendealtes Handwerk, das gar kein Handwerk mehr ist, wird auch mit moderner Mobilität nicht leichter, sondern nur stressiger. Dafür hat Richard Stamm immer haufenweise Hufeisen um sich und müsste der größte Glückspilz im Rhein-Kreis sein. Aber das sagt man einem Schmied nach Pferd Nummer sieben und Pferdeapfelhaufen Nummer zwölf wohl besser nicht ...

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