Grenzgebiet Die letzte Chance - DNA-Massentest soll Mörder von Nicky überführen

Vor 20 Jahren verschwindet der kleine Nicky aus einem Ferienlager bei Aachen und wird einen Tag später tot aufgefunden. Der Mord im niederländischen Grenzgebiet ist bis heute nicht aufgeklärt. Über 21 000 Männer sollen nun eine DNA-Probe abgeben. Es ist die letzte Chance.

 Der Chef der Polizei Limburg, Joep Pattijn, spricht am Freitag in Maastricht vor dem Bild des Nicky Verstappen.

Der Chef der Polizei Limburg, Joep Pattijn, spricht am Freitag in Maastricht vor dem Bild des Nicky Verstappen.

Foto: Ralf Roeger

Maastricht./ Aachen. Es sind ungeklärte Verbrechen wie dieses, die nicht loslassen - selbst nach Jahrzehnten nicht. Der elfjährige Nicky Verstappen nimmt 1998 im niederländischen Grenzgebiet bei Aachen an einem Jugendcamp teil. An jenem Abend im August geht er schlafen. Am nächsten Morgen ist der Junge weg. Einen Tag später wird er etwa einen Kilometer entfernt tot gefunden. Die Polizei geht von Mord aus. Sie stellt an der Leiche des Kindes DNA-Spuren eines Mannes sicher. Sperma, Haare - keine Angaben dazu.

Die Polizei gibt nicht auf. 2011 wird sogar das Grab des damaligen Leiters des Sommerlagers geöffnet. Fehlanzeige. Immer wieder gehen Hinweise ein, die ins Leere laufen. Die Ermittler brauchen einen neuen Ansatz. Polizei und Staatsanwaltschaft greifen nun zu einem Mittel, das in den Niederlanden seit 2012 technisch und auch rechtlich möglich ist. Es ist das äußerste Mittel und die letzte Chance, wie Staatsanwalt Jan Eland am Freitag bei einer Medienkonferenz deutlich macht.

21 500 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren sollen in den nächsten Monaten eine DNA-Probe abgeben - freiwillig. Es sind Männer aus der niederländischen Grenzregion an der Brunssumer Heide, nordwestlich von Aachen, wo der Junge damals gefunden wurde. Mit diesen DNA-Proben suchen die Rechtsmediziner nach Verwandten des unbekannten Mannes, der an dem Jungen seine Spuren hinterließ. „Wir hoffen zu erfahren, was in den letzten Stunden mit Nicky passiert ist“, sagt der Leiter des Projekts, Joep Pattijn.

Es ist die bisher größte sogenannte DNA-Verwandtschaftsuntersuchung in den Niederlanden. Aufgerufen sind Männer, die 1998 schon dort wohnten, und auch Männer, die inzwischen weggezogen sind. Neben dem Stehpult mit Mikrofon hat die Polizei auf dem Bildschirm Nickys Foto eingeblendet: ein pfiffig wirkender Kerl mit Sommersprossen und kurz geschnittenem braunen Haar. Seine Schwester Femke ist gekommen. Sie schildert, wie sehr sich die Familie mit diesen Fragen quält: „Wie ist er gestorben, wer hat ihn getötet?“ Sie spricht leise, hält sich an die Zeilen auf ihrem Blatt fest. Es müsse doch Menschen geben, die mehr wüssten als sie sagen.

Das Camp damals lag am Naturschutzgebiet, in einer touristisch geprägten Gegend. „Der Täter hat sich ausgekannt in der Brunssumer Heide“, sagte ein Polizist. Er spricht von „Geoprofiling“ und davon, dass der Täter im Umkreis von fünf Kilometer wohnen müsste, also theoretisch auch auf deutschem Gebiet. Aber aus juristischen Gründen könne der Massentest nicht auf die deutsche Grenzregion ausgeweitet werden. Wenngleich die deutschen Behörden der Vorgang sicher interessieren dürfte. Seit August 2017 ist es in Deutschland nach Angaben des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen möglich, im Rahmen von DNA-Reihenuntersuchungen nach Verwandten von potenziellen Tätern zu suchen: Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel sowie Geschwister, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen.

Die Familie von Nicky will endlich Ruhe finden. Vor dieser Reihenuntersuchung schwebt sie zwischen Hoffen und Bangen, wie Mutter Berthie in niederländischen Medien deutlich macht: „Wir haben Angst zu hören, was passiert sein kann. Aber wir bekommen keine Ruhe, so lange wir das nicht wissen.“

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