Zwei Menschen am Tag der Einheit

Katrin Sibila zog es aus der ehemaligen DDR nach Gladbach. Andreas Paesler ist den umgekehrten Weg gegangen.

Mönchengladbach. Andreas Paesler kennt sich in Mönchengladbach nicht mehr aus. Zu lange wohnt er nicht mehr in der Stadt. Das Minto hat er nie betreten. Viele Straßen sehen heute anders aus, als in seiner Kindheit. „Ich bin an der Fliethstraße aufgewachsen und habe 17 Jahre in der Stadt gelebt“, sagt er. Danach zog es in quer durch Europa.

Zwei Menschen am Tag der Einheit
Foto: Detlef Ilgner

Er spricht sechs Sprachen. Das liegt an seinem Beruf. Paesler war Balletttänzer. „Theater hat mich immer fasziniert. Das habe ich von meinem Vater geerbt“, erzählt der 58-Jährige. Begonnen hat seine Karriere als Statist am Mönchengladbacher Stadttheater. Nach dem Mauerfall arbeitete er am Theater in Erfurt. Inzwischen lebt er in Schwerin. Das Tanzen hat er längst aufgegeben. Heute arbeitet er als Tanzpädagoge und arbeitet mit Menschen, die eine Behinderung haben.

Paesler hat die DDR als Kind erlebt. „Wir hatten Verwandte in einem kleinen Ort bei Dresden, die wir oft besucht haben. Für uns Kinder war das ein Abenteuer, zum Beispiel bei den Kontrollen an der Grenze“, sagt er. Weil der Wechslkurs beim Geldtausch für Westdeutsche so günstig war, habe er im DDR-Urlaub vieles bekommen, was es sonst nicht gab. „Es gab fast jeden Tag ein Eis oder andere Dinge“, erzählt er.

Fremd habe er sich nie gefühlt. Auch nicht, als er kurz nach der Wende am Theater in Erfurt arbeitete. Das habe vielleicht auch an der Mentalität von Künstlern gelegen, meint er. Die Qualität war sehr hoch. „Nur die Stoffe von den Kostümen waren nicht gerade toll.“

Die Wende wirke jedoch nach. Nicht immer positiv: „Viele fanden nach der Wende keine Arbeit. Ihren Kindern geht es heute ähnlich. Das fördert Unzufriedenheit. Als der Kapitalismus den Kommunismus ablöste, änderte sich das Leben vieler. Damit konnte nicht jeder umgehen“, sagt Paesler. Irgendwo anders möchte er nicht mehr leben.

Es gibt zwei Wörter, die beschreiben können, warum jemand seine Heimat verlässt und sich eine neue schafft: Es ist — die Liebe. Und wenn Katrin Hoppen davon erzählt, wie sie im Ostseebad Warnemünde ihren Ralf kennenlernte und ihm nach Mönchengladbach folgte, dann kann man feststellen: So einfach ist es. Tatsächlich aber ist es recht kompliziert, weil es eine deutsch-deutsche Begegnung ist, die bis heute Sensibilität einfordert — von der Ostdeutschen Katrin Sibila und dem Westdeutschen Ralf Hoppen.

Katrin Sibila wird 1966 in Warnemünde geboren. Der Vater arbeitet auf einer Werft, die Mutter leitet eine Kinderkrippe. Direkt vor ihren Augen hat sie ein Paradies — die Ostsee: „Wir Kinder brauchten keinen Spielplatz, wir hatten den Strand. Ich hatte immer Seesand in den Schuhen.“ Sie lernt Bürokauffrau, bekommt ein Stipendium und startet voller Elan in das Studium der „Sozialistischen Planungsökonomie“.

Nach einigen Semestern bricht sie es ab. Ein Bruch. Ein unverzeihlicher für Anhänger des politischen Systems der DDR. „Das war ein politisches Studium. Und das wollte ich nicht“, sagt sie. Die junge Frau stellt sich in einem Hotel vor. Mit Arafat-Tuch, hautengen Jeans, langen, offenen Haaren und weißen Turnschuhen aus dem Westen. Sie wird gar nicht erst vorgelassen. Vier Wochen später versucht sie es erneut: im Rock von der Jugendweihe und in einer lachsfarbenen Bluse. Sie bekommt den Job — vor allem weil sie gut Englisch spricht. Katrin fängt im Empfang an, kurze Zeit später ist sie Assistentin der Geschäftsführung.

Katrin Sibila

Da kommt Anfang der 1990er Jahre Ralf Hoppen. Er hat eine Firma für Innenausbau in Gladbach. Hoppen soll das Hotel umbauen, in dem Katrin Sibila arbeitet. Sie verhandelt deshalb mit ihm. Sie verlieben sich. Sie heiraten. Und als sie vor 24 Jahren mit Sohn Max schwanger ist, da verlässt sie Warnemünde und kommt mit an den Niederrhein. „Wir haben überlegt, beide in Warnemünde zu bleiben. Aber da kann man kein Geld verdienen“, sagt sie.

In Gladbach fängt sie neu an. Zwar heißt Katrin Sibila jetzt Hoppen. Und sie hat einen zweiten Sohn: Tom (14). Sonst sie ist so geblieben, wie sie war: selbstbewusst, eigenwillig, kritisch, mit einem starken Hang zur Selbstständigkeit, die sie in ihrer DDR-Erziehung vermittelt bekam. Das Hausfrauen-Dasein ist nichts für sie. Schnell sucht sie sich eine berufliche Aufgabe, macht bei der Handwerkskammer in Abendform einen Abschluss nach und steigt in das Geschäft der Familie Hoppen ein. Und was ist anders zwischen Ost und West? Katrin Hoppen schüttelt den Kopf. Sie unterscheide nicht mehr Ost und West, sagt sie.

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