Viele Kinder tagsüber auf der Straße

Die Stadt will gegen die weit verbreitete Tagesobdachlosigkeit bei Kindern und Jugendlichen vorgehen.

Manche haben zumindest einen Schlüssel für die Wohnung. Doch zu Hause wartet im besten Fall ein Fertiggericht für die Mikrowelle. Oft dauert es Stunden, bis ein Elternteil nach Hause kommt. Andere haben keinen Schlüssel. Sie werden morgens aus dem Haus geschickt und können erst dann wiederkommen, wenn Mutter oder Vater zurück sind. Wieder andere können zwar, wollen aber nicht nach Hause, weil sie sich nicht willkommen fühlen.

All diese Geschichten hören die Leiter der Jugendeinrichtungen beinahe täglich. Nun hat eine von ihnen Alarm geschlagen: Eva Schwertfeger, Jugendwartin im evangelischen Gemeindezentrum Rheindahlen, hatte bei der „Rheindahlener Runde“, bestehend aus Bürgern, Lokalpolitikern und der Polizei, das Thema angesprochen. Mindestens 16 Kinder, zum Teil Erstklässler, seien in dem Stadtteil von Tagesobdachlosigkeit betroffen, sagte sie. Der Bezirkspolizist vermutete, die Dunkelziffer sei noch höher.

Die Linke entschied sich daraufhin, einen Antrag an die Verwaltung zu stellen. „Wir möchten, dass überprüft wird, wie viele Kinder und Jugendliche im Stadtgebiet tatsächlich von Tagesobdachlosigkeit betroffen sind, um dann Lösungen erarbeiten zu können“, sagt Hartmut Wessels von der Fraktion der Linken. Am Dienstag wird der Antrag im Jugendhilfeausschuss diskutiert.

Sebastian Merkens, Leiter des Jugendhauses am Martinshof (JAM) in Pongs, hält den Antrag für sinnvoll. „Wir brauchen diese Zahlen, um klar zu machen, dass sozialpädagogische Arbeit nicht nur Feuerwehrarbeit sein kann. Es macht keinen Sinn, immer nur da einzugreifen, wo die Folgen der Obdachlosigkeit spürbar werden“, sagt er.

Merkens hat schon erlebt, dass ihn 13-Jährige nachts anrufen, weil sie Streit mit den Eltern haben und deshalb zu Hause nicht hereingelassen werden. „Aber nur der kleinste Teil dieser Kinder kommt zu uns ins JAM, der Rest hält sich auf der Straße auf. Auch McDonalds sei ein beliebter Treffpunkt: „Dort gibt es für einen Euro was zu essen und man kann solange sitzen bleiben, wie man will.“ Das Minto rücke auch immer stärker in den Focus der Jugendlichen. „Man könnte sagen: Es ist das modernste Jugendzentrum der Stadt“, sagt Sebastian Merkens.

Rund 54 Millionen Euro hat die Stadt im vergangenen Jahr für die sogenannten Hilfen zur Erziehung (HzE) ausgegeben. Darauf haben Eltern Anspruch, die keine oder keine dem Wohl des Kindes gerechte Erziehung gewährleisten können. „Das ist an sich recht ausgabefreudig“, sagt Merkens. Es sei allerdings eine strukturelle Neuordnung nötig. 4,7 Prozent der unter 21-Jährigen erhielten in 2013 Gelder aus den Hilfen zur Erziehung, damit liegt Gladbach ebenfalls unter den Spitzenreitern im Umkreis. Zudem landeten, ebenfalls in 2013, 90 von 1000 Einwohnern im Alter von 14 bis 21 Jahren als Angeklagte vor Gericht.

Zwischen 40 und 80 Kinder kommen mittags regelmäßig in die „Villa“ an der Burgfreiheit in Odenkirchen. Sie essen gemeinsam, machen Hausaufgaben und spielen

Der Förderverein Odenkirchener Kinder und Jugendlicher wurde 2011 gegründet. Die Kinder und Jugendlichen, die nicht den Weg in das städtische Jugendheim finden, werden irgendwann von Streetworker Hayat Mia angesprochen. Nachdem die Kriminalitätsrate in Odenkirchen bedrohlich gestiegen war, hat er es geschafft, das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen zu gewinnen. Die Massen-Ausflüge mit mehr als 100 Teilnehmern sind inzwischen legendär.

Auch Linda Dembon, Leiterin der „Kleinen Offenen Tür“ Rheindahlen, kennt Tagesobdachlosigkeit. „Vor allem im Winter stehen viele schon vor unseren Öffnungszeiten vor der Tür und bitten darum, hereingelassen zu werden“, sagt sie. Dembon denkt darüber nach, die Öffnungszeiten zu verändern.

Die Mitarbeiter des Jugendamtes wollten gestern keine Auskünfte zu dem Thema geben und verwiesen auf die öffentliche Sitzung des Jugendhilfeausschusses.

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