Umschulung in der Finanzkrise: Nagelschere statt Aktenkoffer

Jörg Bernardy ist das beste Beispiel, in Zeiten der Finanzkrise nicht aufzugeben. Als der Kaufmann seinen Job verlor, schulte er um – zum Fußpfleger.

Mönchengladbach. Als Jörg Bernardy Mitte der 90er Jahre ins Berufsleben einstieg, hätte er nie gedacht, dass er einmal Hornhaut von Fersen abraspeln statt sich durch Papierkram und Akten wühlen würde. Der heute 44-jährige Mönchengladbach machte damals eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, und lange Zeit war er auch in diesem Beruf beschäftigt.

Doch 2004 machte der Betrieb dicht, Bernardy verlor seinen Job. Aufgeben kam für ihn jedoch nicht in Frage: "Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, ich durfte nicht verzweifeln, auch wenn ich mich schlecht fühlte", erinnert er sich. Also machte er das Beste aus der Situation und schlug völlig neue Wege ein: Bernardy ist heute selbständiger Podologe, das heißt medizinischer Fußpfleger, führt eine eigene Praxis in Rheydt.

Doch der Reihe nach: Zunächst erging es dem Mönchengladbacher Familienvater wie vielen anderen Arbeitslosen. Er schickte eine Bewerbung nach der anderen ab, eine Absage nach der anderen landete in seinem Briefkasten. "Meine Motivation ließ mehr und mehr nach, ich musste plötzlich feststellen, dass ich mit Ende 30 offenbar schon zu alt für den Arbeitsmarkt bin", sagt Bernardy.

Nach fast 300 erfolglosen Bewerbungen kriselte es auch in der Familie. "Ich war nur noch schlecht gelaunt, zu Hause zu sitzen, das nervte meine Frau und meine beiden Töchter." Nach fast einem Jahr hielt Bernardy es nicht mehr aus. "Es musste was passieren." Er entschloss sich, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Bei der IHK ließ er sich vier Monate lang für rund 1000 Euro zum Hausverwalter weiterbilden. "Das passte zu meiner kaufmännischen Ausbildung."

Danach baute er eine eigene kleine Hausverwaltungsfirma auf. "Die wollte nicht richtig ins Laufen kommen", erinnert er sich traurig. Nach nur einem Jahr war deshalb auch damit Schluss - für Bernardy ein herber Rückschlag. Doch wieder war ihm klar: Aufgeben geht nicht. Diesmal wollte er sein berufliches Glück jedoch in ganz anderen Bereichen finden. "Mir war klar, dass ich in meinem Job keinen Erfolg mehr haben werde. Da ich mich schon immer medizinisch interessiert habe, wählte ich die Lehre zum Podologen." Und damit all das, was er bei seiner ersten Ausbildung lange hinter sich gelassen hatte: Schulbank drücken, Bücher wälzen, Praktika machen.

Im Herbst 2008 hatte er sein Podologen-Zertifikat in der Tasche, und diesmal klappte es mit der Job-Suche: In einer podologischen Praxis in Gladbach ergatterte er einen Teilzeitjob. "Von mir fiel ein Riesen-Druck ab", beschreibt er. Und nicht nur das: Bernardy sieht heute sogar die Vorteile in seiner Krise und ist überzeugt, endlich seinen Traumjob gefunden zu haben: "Der Umgang mit Menschen ist toll, ohne die Kündigung wäre ich nie dazu gekommen."

Im April dieses Jahres machte er sich in Rheydt selbständig. Und lässt sich nicht entmutigen, dass noch nicht so viele Patienten mit Hühneraugen oder eingewachsenen Zehennägeln bei ihm ein und aus gehen - derzeit kommen täglich etwa vier Kunden, eine Behandlung kostet zwischen 20 und 26 Euro und wird zum Teil von der Kasse übernommen: "Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben. Und mit den Füßen haben immer mehr Menschen Probleme. Diabetiker beispielsweise, bei denen ist es wichtig, dass sie sich bei der Fußpflege nicht verletzen. Deshalb sollte das professionell gemacht werden."

Allen, die beruflich in einer ähnlichen Situation sind, rät er: "Flexibilität und Eigeninitiative sind das A und O. Kaum einer wird heutzutage in dem Job, den er gelernt hat, alt."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort