Leben retten ist wie ein Lottogewinn

Roland Schlößer ließ sich vor Jahren typisieren und hatte es fast vergessen, als die Nachricht kam: Seine Stammzellen könnten jemanden heilen.

Mönchengladbach. Ein winziger Stich, ein paar Tropfen Blut. Im September 2005 wollte der Gladbacher Roland Schlößer der kleinen Lisa helfen. Die damals Zehnjährige war an Leukämie erkrankt. Viele tausend Mönchengladbacher wollten helfen und ließen sich typisieren, darunter Schlößer und seine Frau Heike. "Damals hätte ich nie gedacht, dass mein Blut passen könnte."

Das tat es auch nicht für Lisa, die aber trotzdem einen Stammzellenspender fand. Aber als Schlößer die Typisierung fast wieder vergessen hatte, erreichte ihn die Nachricht, dass er einem anderen Kranken das Leben retten könnte. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Ich dachte, wir hören nie wieder was. Das ist wie ein Lottogewinn, sechs Richtige", sagt der 39-Jährige.

Bei seiner Hausärztin wurde noch einmal ganz genau auf die lebensrettenden Zellen in seinem Blut geschaut. Und sie passten ganz genau für einen an Leukämie erkrankten Italiener, was Roland Schlößer zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wusste.

Dafür wusste er von Tag zu Tag mehr über Stammzellen. "Viele Menschen haben ein falsches Bild von der Spende. Sie denken, es sei eine große Operation", erzählt der Volksbank-Angestellte von Reaktionen aus seinem Umfeld.

Bei seiner Stammzellenspende lag Schlößer gemütlich auf einer Liege, trank Kaffee, aß Brötchen und Kekse und sah mit den Krankenschwestern von Cellex den Film "Ice Age 2". Cellex in Dresden ist eine von 14 Entnahmekliniken, mit der die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) zusammenarbeitet.

Vier Tage vor der Spende musste sich Schlößer zweimal täglich selbst ein Mittel spritzen, das die Stammzellenproduktion anregt. "Schon nach einer Stunde konnte ich erste Reaktionen in meinem Körper spüren. Ich hatte Schmerzen im Rücken und Becken, später auch in den Knien."

Aber es seien keine normalen Schmerzen gewesen. "Eher positive. Es ist schwierig zu beschreiben. Ich fühlte mich, als würde ich mich jeden Moment in Hulk verwandeln." Hulk ist eine Comic-Figur; ein Forscher, der sich zeitweise in einen riesigen grünen Kraftprotz verwandelt.

"Hulk" Schlößer fühlte sich, "als ob von innen jemand raus wollte, um auf der anderen Seite zu kämpfen". Passenderweise sei ihm, als am Tag der Spende das Blut floss, ein Lied seiner Lieblingsband The Doors in den Kopf gekommen: "Break on through to the other side" ("Brich durch auf die andere Seite"). Er habe sich, als es endlich losging, "so gut gefühlt wie lange nicht". Der Eingriff war "völlig harmlos". "Wie eine Blutspende", sagt der Mann, der seit er 16 ist Blut spendet, "nur dass es statt 15 Minuten eine Stunde dauerte."

Als Schlößer wieder zu Hause war, sei ihm alles richtig bewusst geworden. "Es flossen Tränen des Glücks und viele Tränen der Hoffnung. Hoffnung, dass der Empfänger alles gut übersteht und es ihm bald besser geht."

Mit Schlößers Zellen ist ein 52-jähriger Italiener behandelt worden. "Mehr weiß ich leider nicht über meinen genetischen Zwilling." Die italienischen Gesetze lassen keinen persönlichen Kontakt zu. Land, Alter, Vorname, Hobbys sind alle Daten, die der Spender erhält.

Das sei eine Enttäuschung gewesen. "Ich stelle mir jetzt vor, dass er gemütlich ist, ein bisschen ein Macho, ein Familienvater und wahrscheinlich durch die Krankheit gezeichnet." Ein anonymer Kontakt ist aber möglich. Und so hat Schlößer einen Brief über die DKMS nach Italien geschickt.

Manche Freunde haben Schlößer gesagt, er wäre ein Held. "Aber das bin ich nicht. Ich finde, das ist selbstverständlich." Seit der Spende habe sich aber seine Einstellung zum Leben geändert. "Ich denke viel über das Leben nach und ich lebe anders, will mir einen Organspender-Ausweis zulegen." Und er will als Ehrenamtlicher für die DKMS arbeiten, über seine Spende berichten und so andere zur Typisierung motivieren. "Es ist besser, das erzählt ein Spender als ein Doktor in der Theorie."

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