Künkelstraße: Musik-Proben in der alten Fabrik

Ein unscheinbares Gebäude füllt sich mit Leben, mit Musik. Hier üben aufstrebende Bands genauso wie Pianisten, die ihre Nachbarn daheim nicht stören wollen.

Mönchengladbach. Früher ratterten hier die Textilmaschinen. Heute schrammelt eine E-Gitarre hinter einer der Türen eine Punk-Version von "Kalinka". Früher schwitzten hier hunderte Arbeiter. Heute ächzen Musiker unter der Last ihrer Verstärker und Lautsprecher auf dem Weg zu einem Gig irgendwo in der Welt da draußen. Eine Welt, die weit weg ist, wenn die Stahltüren der Proberäume sich hinter ihren Mietern schließen.

Die Flure im alten Fabrikkomplex sind kalt und die meisten Wände kahl. Nur ein paar Plakate, die für Konzerte werben, lassen ahnen, wer hier seine Freizeit verbringt. So wie die Gesuche, die hier hängen und deren Verfasser auf einen Anruf von einem neuen Gitarristen oder einer Super-Sängerin warten.

Für Bands ist das Gebäude an einem Hinterhof der Künkelstraße ein Paradies. Wer Musik nur mag, wenn sie laut ist, kann hier rund um die Uhr proben, ohne einen einzigen Nachbarn zu stören. Hier spielt eine kleine Asiatin mit ihrem riesigen Partner am Bass Jazz, genauso wie ein Pianist seine Etüden über die Tastatur fingert oder aufstrebende Bands Rock, Pop oder Soul in schalldämpfende Wandverkleidung dröhnen.

Hinter einer der Türen jault gerade eine E-Gitarre ein Heavy-Metal-Solo. Einen Raum weiter ist das kaum zu erahnen. Viel Seele steckt Sängerin Tina gerade in die vom Sam&Dave-Original abgewandelte Zeile "I’m a Soul Girl". Hier probt die aufstrebende Mönchengladbacher Coverband Soul-Ciety den richtigen Groove, spielt Soul, Blues und Funk und reist musikalisch in die 50er, 60er und 70er Jahre.

Ein Jahr lang haben die zehn Soul-Fans jetzt ihren eigenen Probenraum in dem ehemaligen Industriegebäude. Wenn’s um Probenräume geht, haben die Musiker von Soul-Ciety viel gesehen.

Es gibt Geschichten von Probenräumen mit Toiletten, in denen im Winter das Wasser abgestellt wurde und ein gutes Dutzend Männer und Frauen mit zwei vom Vermieter hingestellten Wassereimern klar kommen mussten. Von Band-Kollegen haben sie von undichten Dächern gehört. "Woanders ist es feucht und schimmelig", erzählt Sängerin Tina, bevor Schlagzeuger Siggi vier anzählt.

Klack, klack, klack, klack. Mit einem sanften "Chain chain chain" eröffnet Tina die Aretha-Franklin-Hymne "Chain of Fools". Dass sie - und der "singende Koch" Uwe bei "Too many Cooks spoil the Soup” - ganz entspannt sein können und sich nicht die Füße abfrieren, dass die Räume an der Künkelstraße im Winter warm und im Sommer kühl sind, ist für sie keine Selbstverständlichkeit.

"Auch so einen Sound haben wir vorher nicht gehabt", erzählt Keyboarder André aus Zeiten in einer Dachgeschoss-Wohnung, als Bassist Schorsch einen Kohleofen im Winter dauerbefüllen musste. "Das sind Luxusräume", sagt der Saxophonist, der in Düsseldorf mit einer Band probt, "woanders hört man alles aus den anderen Räumen." Dann setzt Chris schnell die Sonnenbrille auf, und er, Saxophonistin "Huppi" und Trompeter Friedel lassen bei "Shake your Tailfeather" die Instrumente kreisen, üben eine Blues-Brothers-Choreographie.

Es ist auch die Atmosphäre, das Miteinander, in der alten Fabrik in Eicken, für das sich die 35- bis 53-jährigen Soul-Ciety-Bandmitglieder, die im normalen Leben Arzt, Koch oder Mitarbeiter in der IT-Branche und der Sparkasse sind, begeistern. Im Sommer stehen auch sie mal mit anderen Musikern auf dem Hof und feiern ein bisschen.

"Hier kann man auch mal ein altes Keyboard gegen ein paar Getränke tauschen", sagt André. Fehlt dem Gitarristen mal das Plektrum oder springt eine Saite, fehlt fürs Mikro das Kabel, irgendwer kann bestimmt helfen. Soul-Ciety hatte zwei selbstgebastelte Floor-Monitore zu verschenken und stellte sie in den Flur. Tagelang standen sie dort, ohne dass sie jemand angetastet hätte. Erst als ein Zettel "zu verschenken" darauf klebte, bedienten sich Mitmusiker.

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