Einer der ersten Gastarbeiter hat gute Gründe zum Feiern

Maksut Karadeniz wird 90 Jahre alt. Seit 50 Jahren lebt er in Deutschland — zunächst in Bayern, inzwischen in Gladbach.

Maksut Karadeniz liebt Autos. Sehr gut erinnert er sich an seinen ersten Wagen: „Ein Opel Caravan. “Dabei hört man hört die Begeisterung in seiner Stimme. 1967 — er war gerade drei Monate in Deutschland — machte er den deutschen Führerschein mit Hilfe eines Dolmetschers. Und als er das erste Mal wieder in die Türkei zurückfuhr, da tat er es in besagtem Opel. „Es war das einzige Auto im Dorf“, sagt er und lacht. Ohne Zweifel ein aufsehenerregender Hingucker. Maksut Karadeniz und seine Frau Hafize gehören zu den ersten türkischen Arbeitnehmern, die vor mehr als fünfzig Jahren gezielt von der deutschen Wirtschaft angeworben wurden.

1966 arbeitete Hafize Karadeniz als Spinnerin in einer Textilfabrik in Istanbul, ihr Mann betrieb eine Textilreinigung. Aber die wirtschaftliche Situation war schwierig. Als ein Unternehmen aus dem bayrischen Hof per Anzeige fünf Familien suchte, die ein bis zwei Jahre in der Spinnerei arbeiten wollen, bewarben sich Hafize und Maksut Karadeniz ohne zu zögern. Mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche (Stundenlohn; 2,89 Mark, Mindestlaufzeit ein Jahr) stiegen sie am 3. Juni 1966 in Istanbul in einen Zug, der sie in dreitägiger Fahrt nach München brachte, wo sie von einer Delegation samt Dolmetscher erwartet wurden. Sie wurden in Hof mit offenen Armen aufgenommen. Die idyllische Stadt gefällt ihnen, die Arbeit auch. „Die Arbeitsbedingungen waren sehr gut“, erinnert sich Hafize Karadeniz. „Die Vorgesetzten waren respekt- und verständnisvoll.“ Dem Vorarbeiter fiel auf, dass seine türkische Mitarbeiterin oft traurig wirkte, obwohl sie sehr gute Arbeit ablieferte. „Mir fehlten meine drei Kinder so“, sagt die heute 88-Jährige. „Ich habe jeden Tag geweint.“ Kurzerhand wurde ihr Sonderurlaub gewährt: Sie fuhr in die Türkei und holte die Kinder nach, die in Hof eingeschult wurden. Damit ist alles gut, an eine Rückkehr in die Türkei denkt die Familie nicht mehr. „Meine Großeltern sind im heutigen Rumänien geboren worden, sie haben sich immer als europäische Türken verstanden“, erklärt Enkelin Sibel Bagci.

Allerdings ist der Umzug nach Mönchengladbach zwei Jahre später mit einem Kulturschock verbunden. Aus dem ruhigen Hof, wo jeder jeden kennt, in die anonyme Großstadt — das ist nicht einfach. Auch fällt der bayrische Akzent der Kinder in der Schule auf. Dennoch lebt sich die Familie schnell ein. In den Fotoalben zeugen Aufnahmen von Karnevalsfesten davon, wie schnell die Familie im Rheinland angekommen ist. Weitere Fotos zeigen die Familie auf Reisen: in München, Augsburg, vor dem Kölner Dom, in Paris, beim Strandurlaub. Ein Leben in Deutschland und auch ein deutsches Leben, vor mehr als zwanzig Jahren haben beide die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Bis zu Beginn der 1980er Jahre arbeiteten Hafize und Maksut Karadeniz gemeinsam beim Mönchengladbacher Textilunternehmen Busch & Hoffmann, dann kümmerte sich Hafize Karadeniz um die inzwischen geborenen Enkel. „Deshalb spreche ich auch fließend Türkisch“, sagt Sibel Bagci. Ihr Großvater arbeitete derweil als Hausmeister.

Auch als Rentner setzt er sich nicht zur Ruhe. „Er hat gearbeitet, bis er fast achtzig war“, erklärt die Enkelin. „Er muss etwas zu tun haben. Er ist ein sehr aktiver und auf Selbstständigkeit bedachter Mann.“

Bis vor drei Jahren hat der begeisterte Autofahrer auch noch regelmäßig die mehr als 2500 Kilometer in die Türkei am Steuer hinter sich gebracht, aber nun ist aus gesundheitlichen Gründen Schluss damit, was er ein wenig bedauert. Am Dienstag feiert er seinen 90. Geburtstag.

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