Dinner im Dunkeln: Wo das Auge nicht mitisst

Das „Four Senses“ lädt die Gäste zum Dinieren in völliger Finsternis ein.

Mönchengladbach. Totale Finsternis. Als die Tür der Schleuse hinter Bärbel und Bernd (beide 29) ins Schloss fällt, umgibt die beiden völlige Dunkelheit, in der sie nicht einmal die Hand vor Augen erkennen können.

Jetzt heißt es, Kellnerin Karina zu vertrauen. „Haltet euch an mir fest“, sagt die 24-Jährige. Karina ist seit ihrer Geburt blind. Sich im Dunkeln zu orientieren, ist Alltag für sie. Zielsicher führt sie Bärbel und Bernd an ihren Tisch.

Dort verrät ein herzhafter Duft, dass etwas Köstliches bereit liegt. Bärbel tastet vorsichtig nach ihrem Besteck. Es klappert und klirrt, dann sagt sie schmunzelnd: „Geschafft.“ Währenddessen scheitert Bernd neben ihr beim Versuch, sich ein Glas Wasser einzuschenken.

Ein leises Fluchen ist zu hören. „Macht doch nichts“, tönt Karinas Stimme aus der Schwärze. Mit der Eröffnung des „Four Senses“ am 1. März im Königskarree an der Reyerhütterstraße hat sie ihren Traumjob gefunden. „Hier habe ich Kontakt zu Menschen und kann sie dabei unterstützen, sich zu orientieren, ohne sich auf den Sehsinn verlassen zu können“, sagt sie.

Das „Four Senses“ entführt seine Gäste für ein paar Stunden in die völlige Dunkelheit. Heißt es sonst „Das Auge isst mit“, muss man sich im Dunkel-Restaurant völlig auf seine anderen vier Sinne — Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen — konzentrieren.

„Das Konzept kommt super an, bislang hatten wir abends ein volles Haus. Manche wollen unsere Speisen aber lieber im beleuchteten Restaurantbereich kennenlernen“, erklärt Inhaberin Gisela Hüsges-Schnabel.

250 000 Euro hat sie in das „Four Senses“ (englisch für „Vier Sinne“) investiert und damit nicht nur eine Attraktion, sondern auch Arbeitsplätze für rund zehn sehbehinderte Menschen geschaffen. „Kein sehender Mensch könnte sich so sicher in der Dunkelheit bewegen und Essen servieren“, sagt Hüsges-Schnabel.

Karina wischt Bernds verschüttetes Wasser weg, während dieser mit Bärbel rätselt, was sie gerade verspeisen. „Tomatensuppe“, sagt er. „Kürbissuppe“, sagt sie. „Karottensuppe“, sagt Karina und lacht. „Daran sieht man, wie sehr sehende Menschen sich sonst auf ihre Augen verlassen.

80 Prozent der Wahrnehmung erfolgt über den Sehsinn.“ Auch Bärbel und Bernd sind verblüfft. „Wahnsinn, man schmeckt ganz anders, wenn man nichts dabei sieht“, sagen sie.

Dass das Essen im Dunkeln besser klappt als gedacht, stellen die beiden am Ende des Abends mit einem Blick auf die (fast) fleckenfreie Kleidung fest. „Es ging weniger daneben, als wir dachten.

Zugegeben, Tischmanieren muss man hier ignorieren, irgendwann nimmt man dann die Finger zu Hilfe. Aber das sieht hier ja zum Glück niemand“, sagt Bärbel und grinst.

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