Erleichterung, Freude, Tränen

Von Zittern bis Jubel reichten am Samstag die Gefühle der Borussen-Fans.

Mönchengladbach. Abstiegskampf sieht anders aus. Wer Verzweiflung, Angst und große Gefühle erleben will, muss an diesem Samstag nach Bielefeld, Cottbus oder Karlsruhe fahren.

In Mönchengladbach herrscht vor dem entscheidenden Spiel gegen Borussia Dortmund entspannte Ruhe und eitel Sonnenschein: Drei Punkte und vier Tore Vorsprung sind ein recht beruhigendes Polster, da entscheiden sich die meisten Fans dafür, den Sommer zu genießen und die bösen Gedanken weit weg zu schieben.

Dennoch: Die Saison hat Spuren hinterlassen. Sie zeigen sich, wie bei Fußballfans üblich, in nostalgischen Tagträumen ("Weißt du noch? 1983 haben wir im Westfalenstadion 6:4 gegen Dortmund gewonnen.") oder in bösem Galgenhumor ("Die verpflichten für die neue Saison bestimmt den Krstajic. Der Hans Meyer braucht noch einen Routinier für die Mannschaft."). Andere sprechen über den tragischen Tod des Eishockey-Torwarts Robert Müller, als wollten sie einander erinnern, dass es wichtigere Dinge gibt als Fußball.

Im Stadion gilt diese Weisheit übrigens nicht: Dort gibt es nur den Fußball und das grausame Wissen um seine Tragödien. Während die kloppomanischen Anhänger des BVB lautstark singen, den Traum von Europa vor Augen, herrscht in der Nordkurve vor dem Spiel stille Messe.

Auf einmal scheinen die bösen Gedanken sich doch noch in die Hinterköpfe zu schleichen, das ungute Gefühl, dass auf den letzten Metern alles schief gehen könnte und im nächsten Jahr wieder Auswärtsfahrten nach Augsburg und Fürth anstehen.

Wer Gladbach-Fan ist, kennt solche Schreckgespenster und wappnet sich dagegen, so gut es geht. Ein Mann, dessen Trikot schon einige Aufstiegsfeiern und bittere Niederlagen gesehen hat, scheint weniger den Abstieg, sondern eher die nächsten Entscheidungen der Klubführung zu fürchten: "Der Königs holt garantiert den Matthäus als Trainer", zischt er seinem Nebenmann zu. "Das ist dann der Untergang."

Auch zum möglichen Verkauf von Mittelfeld-Star Marko Marin hat er eine klare Meinung: "Für die zehn Millionen holen die wieder drei bis vier drittklassige Kicker."

Solche Gedanken sind unwichtig, sobald das Spiel beginnt: Die Nordkurve feuert die Mannschaft an und übersieht gnädig vertändelte Bälle und katastrophale Abspiele. In dieser Saison haben sich viele eine Art Hornhaut auf den Augen wachsen lassen.

Als gut 100 Minuten später die Party beginnen kann, ist all der Murks vergessen, die Stadt ist im Freudentaumel. "Die Hinrunde war furchtbar", sagt Fan Bernd Totten. "Aber dann hat die Mannschaft bis zum letzten Spiel gekämpft. Wir bleiben verdient in der ersten Liga."

Rund ums Stadion und an der Aachener Straße bilden sich spontane Gruppen jubelnder und Fahnen schwenkender Fans. Hupend fahren Gleichgesinnte vorbei, aus Bussen mit Dortmunder Anhängern recken sich ausgestreckte Mittelfinger. Die Tragik des Fußballs hat wie befürchtet zugeschlagen, aber sie trägt an diesem Nachmittag Schwarz-Gelb.

Udo Spindler, seit fast 30Jahren Gladbach-Fan, verlässt hingegen mit breitem Lächeln und verweinten Augen das Stadion: "Ich heule vor Freude. Ich habe immer daran geglaubt", sagt er und wischt sich eine weitere Träne aus dem Augenwinkel. Es gibt sie also doch an diesem Samstag in Gladbach - die großen Gefühle.

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