Stolpersteine: „Als sei meine Mutter nach Hause gekommen“

Die Erinnerung an jüdische Bürger Willichs beeindruckte die Angehörigen.

Willich. Der Schnee ist geschmolzen, der Boden nicht gefroren. So braucht Daniel Lloyd vom Bauhof der Stadt Willich nicht lange, um Steine aus dem Pflaster an der Bahnstraße 9 zu lösen. Dort, vor dem Bierhaus Alt Willich, werden vier Stolpersteine verlegt, die an die im Terrorregime des Nationalsozialismus deportierten und ermordeten Juden erinnern, die hier zuletzt gewohnt haben.

Mit leichter Verspätung kommen die vielen Begleiter der Aktion hier an, die Enthüllung der Gedenktafel auf dem Willicher Schützenplatz hat länger gedauert als erwartet. Da hat der Kölner Künstler Günter Demnig schon die zehn mal zehn mal zehn Zentimeter großen Bronze-Würfel in die Straße geklopft, aus deren Oberfläche sie leicht hervorragen.

In die sichtbaren Würfelflächen sind jeweils die Namen der Opfer eingraviert, die hier wohnten: Albert, Arthur, Karoline und Rosette Lion. Ihr Geburtsdatum, das Datum ihrer Deportation und ihres Todestages. Die Nachfahren dieser Opfer, die extra aus England, USA, Australien und Berlin angereist sind, gruppieren sich davor, manche zücken Smartphones, machen Fotos.

David Wirth und drei seiner Schüler vom Michael- Ende-Gymnasium in Tönisvorst beobachten die Aktion. „Bei uns sollen ja auch noch Steine verlegt werden, und wir schauen uns das an“, sagt der Lehrer für Philosophie und Geschichte. Bernd-Dieter Röhrscheid tritt hervor und verliest die Namen und die Vita. Seine Schüler vom St. Bernhard-Gymnasium in Schiefbahn, die die Aktion angestoßen haben, lesen die englische Übersetzung. Zu jedem Stolperstein wird anschließend das passende Foto aufs Pflaster gestellt, davor eine weiße Rose gelegt.

Rolf Klein, der evangelische Pfarrer, tritt vor, spricht einen Bibelvers erst auf Deutsch, dann auf Hebräisch. Für die Angehörigen ist es ergreifend, als er die Gemeinsamkeit betont, dass Juden, Christen und Muslime diejenigen sind, die an den einen Gott glauben. Dass er verspricht, dass nie vergessen wird, was hier passiert ist und dass sich das nie wiederholen wird.

„Indem der Stein für meinen Großvater verlegt wird, ist es für mich, als sei meine Mutter nach Hause gekommen“, sagt Joan Chantrell. Die 67-Jährige ist aus England angereist und Enkelin von Arthur Lion. Ihrer Mutter Else und deren Bruder gelang noch rechtzeitig die Flucht nach England. Dort heiratete sie einen Deutschen jüdischen Glaubens aus dem Frankfurter Raum, der das Konzentrationslager überlebt hatte. „Aber er starb schon zehn Jahre später.“

1956 kam sie mit ihrer Mutter noch einmal nach Willich. „Diesen Ort hat sie so geliebt, in Wirklichkeit ist sie nie hier weggegangen.“ Sie war damals froh, alte Freundinnen zu treffen.

Über die Schuld der Willicher während des Terrorregimes habe die Dame folgendermaßen geurteilt: „Diese Menschen wollten uns nichts Böses. So wollten nur überleben.“ Joan Chantrell hofft, dass es später auch mal Stolpersteine für die Juden geben wird, die ihre Heimat verloren haben.

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