St. Tönis: Die Prinzessin hat das Sagen

Rathaussturm: Jessica I. und ihre Möhnen haben bei miesem Wetter die Macht an sich gerissen.

St. Tönis. Prinzessin Jessica I. gurrte, Prinzessin Jessica schnurrte. Und das alles, um den Bürgermeister Albert Schwarz zur Aufgabe seiner Rathaus-Festung zu bewegen. Mehr als die Übertragung ihrer schönen Stimme gab die Lautsprecher-Anlage aber nicht her: Was sie sagte, konnte man am Rande des Marktplatzes beim besten Willen nicht verstehen.

Die Prinzessin stellte dem Bürgermeister unlösbare Aufgaben: Er sollte das diesjährige Karnevals-Motto "Wer feiert und lacht ist immer im Recht" ins Lateinische übersetzen. Eine Übung, die dem ehemaligen Mathe- und Physiklehrer Albert Schwarz nicht gelang. Trotzdem dauerte es unter der bewährten Moderation von Guido Beckers bis halb sieben, bis er sich endlich bewegen ließ, den Schlüssel abzugeben. Begonnen hatte der Sturm schon vor sechs Uhr. Eine lange Zeit bei denkbar schlechtem Wetter.

"So war es bei uns im letzten Jahr auch", erinnerte sich Helga Thelen, die Vorjahrsprinzessin. "Nelkensamstagmorgen hat es so geschneit, dass ich schon dachte, der Zug in Vorst würde ausfallen." Zum Nachmittag hin war es dann sonnig. "Und so wird es in diesem Jahr auch sein." Seit ihrer Amtsführung sieht sie Karneval mit anderen Augen. "Jetzt weiß ich, wie viel Arbeit dahinter steckt." Ihr Mann Hajo hatte sich unter einer friedhofsblonden Lockenperücke verborgen, um eine Aufenthaltsgenehmigung unter den zahlreichen maskierten alten Weibern zu bekommen.

Mit dem Rathaussturm sind nicht alle zufrieden. "Das wird immer langweiliger hier in St. Tönis", meckert einer, der am Rande des Marktplatzes ausharrt. "Man versteht nichts und es dauert ewig." In Köln und Düsseldorf ginge das viel schneller.

Das sieht Prinzessin JessicaI. ganz anders. "Mit dem, was hier in St. Tönis los ist, kann Köln nicht mithalten", sagt sie begeistert. Sie genießt diesen Alt-Weiber-Donnerstag, an dem sie das Sagen hat. "Du kriegst das Mikro heute nicht!" bescheidet sie ihrem Mann Prinz Lothar I.

Schließlich sind es mindestens 20 Möhnen, die den Bürgermeister samt Schlüssel zur Bühne schieben - weibliche Wesen, die sich noch maskieren müssen, um bei "Alt-Weiber" mitzumachen, Schülerinnen des Michael-Ende-Gymnasiums. "Die haben dort einen Lehrer, der den Karneval fördert", weiß Helga Thelen.

Im Rathaus wird derweil eifrig gefeiert, und als die Narren es endlich erstürmen können, ist das Buffet bereits leer gegessen. Die Mitarbeiter aus Politik und Verwaltung lassen es sich offenbar gut gehen.

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