Neersen: Ein Boxenstopp in der Maske

Hinter der Bühne schwingt Iris Beatriz Beerstecher Puderquaste und Föhn. Sie hübscht als Maskenbildnerin die Darsteller des Freilufttheaters auf – und kann sie auch richtig hässlich machen.

Neersen. Wenn der Räuber Hotzenplotz mit kariösem Gebiss die Bühne stürmt, kann Iris Beatriz Beerstecher durchatmen. Der Zahnarzt von Wolf-Guido Grasenick wird bestätigen: Der Schauspieler hat gar keine schwarzen Zähne. Mit einem Lack hat Iris Beatriz Beerstecher ihm seine Zähne verdunkelt. Nicht nur das: Sie hat ihn schmuddelig geschminkt, seine Haare verstrubbelt und ihm das Parade-Äußere eines Gauners verpasst.

Iris Beerstecher ist Maskenbildnerin. Aber auch Seelsorgerin, Verwandlungskünstlerin und Organisationsgenie. Die 48-Jährige hat nicht nur ein Faible für Kunst und Theater, sie hat eine Leidenschaft für Veränderung.

Schon während ihrer Schulzeit war die Bühne ihre Heimat - allerdings als Darstellerin. Als sie in Bochum an der Studiobühne mit einer Laienspielgruppe Kafkas Menschwerdung aufgeführt hat, war sie von der Metamorphose ihres Schauspielkollegens zum Affen inklusive Haarteilen im Gesicht so beeindruckt, dass für sie mit einem Mal ihr Berufswunsch feststand: Maskenbildnerin.

Farbkästen mit Rouge, Make-Up-Stifte, Beton-Gel, Spraydosen und undefinierbare Tinkturen warten heute in ihrer kleinen Maske bei den Neersener Schlossfestspielen auf den Einsatz.

Christine Csar, die die Polizistin bei Arsen und Spitzenhäubchen spielt, nimmt an einem der vier Sitze in der Maske Platz. Flugs beginnt Iris Beerstecher mit der Verwandlung: Mit routinierten Handgriffen trägt sie mit einem Schwämmchen ein Make-Up aus verschiedenen Farbnuancen auf, streicht eine große Puderquaste auf einer anderen ab und tupft das Gesicht ab, dass es nur so staubt. Während sie die Haare der Schauspielerin und Regisseurin schneckelt, um sie nachher unter eine Perücke zu klemmen, bleibt Zeit für ein Schwätzchen. "Das sind die Geheimnisse der Maske - an sich weiß ja niemand, wie’s drunter aussieht", sagt Beerstecher. Flugs noch Lidstrich und Lippenstift, dann ist aus Christine Csar eine ondulierte Dame geworden. Zwei Stunden mindestens müssen Make-Up und Perücke Schweiß, Wind und Regen standhalten.

Nicht nur präzise, auch schnell muss sie sein, damit sich der Vorhang rechtzeitig heben kann. Strikt müssen sich die Darsteller deshalb an den von ihr erarbeiteten Schminkplan halten. Vor allem bei Loriots dramatischen Werken: Viele Rollenwechsel halten die Maskenbildnerin hinter der Bühne auf Trab. "Das ist wie beim Boxenstopp", sagt Beerstecher.

In den Wochen zuvor hat sie alle Stücke gelesen, und sich in Hintergrund und Stilkunde vertieft. Daraus hat sie ihre Entwürfe gefertigt und besprochen, Perücken geknotet und das Material beschafft. "Jedes Stück und jeder Regisseur stellt andere Anforderungen und erfordert neue Ideen", sagt sie. "Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, ich muss zur Arbeit gehen."

Ihre kleine Maske ist die letzte Station der Schauspieler vor der Bühne. "Die Maske ist ein Gefühlsauffangbecken", erzählt sie. "Man hat so engen Kontakt zu Menschen, durchbricht ja schon die Intimsphäre, indem man jemanden am Gesicht anfasst", sagt sie und bricht in schallendes Gelächter aus: "Gell, ich hab dich durchbrochen, Christine." Lächelnd verlässt die in den letzten zehn Minuten frisch Ergraute die Maske.

Schon wartet der Nächste auf seine Verwandlung: Severin Geissler möchte zum Comedian Harmonist werden. "Wegen dir bin ich extra früher gekommen", sagt er charmant zu Iris Beerstecher und lässt sich bereitwillig in eine Wolke aus Puder und Haarspray hüllen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort