Anrather Kirchturmuhr ist aus dem Takt geraten

Alle zwei Tage klettert Uhrmachermeister Heinrich Stevens in den Turm, um die Uhr wieder richtig zu stellen. Sie muss nach einer Reparatur neu justiert werden.

Anrather Kirchturmuhr ist aus dem Takt geraten
Foto: rei

Anrath. Die Zahnräder und Stangen hinter den Glasscheiben sind allesamt in Bewegung. Zahnräder unterschiedlicher Größen greifen ineinander und bewegen sich mit einem kleinen Ruck vorwärts. Ein gleichmäßiges Klack-Klack bestimmt die Geräuschkulisse hoch oben im Turm der Anrather Kirche St. Johannes. Heinrich Stevens greift zu seinem Schlüsselbund und zieht einen ganz bestimmten Schlüssel hervor. „Der gehört zu meinem Alltag derzeit jeden zweiten Tag dazu“, bemerkt er mit einem Lächeln und öffnet die Türen des Uhrenkastens mit seiner komplexen Mechanik.

Anrather Kirchturmuhr ist aus dem Takt geraten
Foto: Kaiser

Ein Blick auf das kleine Ziffernblatt an der Seite sowie auf sein Smartphone lassen den Uhrmachermeister den Kopf schütteln. „15 Sekunden Nachgang“, sagt er. Dann ist ein kurzes Warten angesagt, denn es gilt, den sogenannten Auslösepunkt abzupassen, um die Turmuhr mit der korrekten Zeit zu synchronisieren. Aber das alleine reicht nicht: Stevens öffnet eine weitere kleine Tür an der Unterseite des Uhrenkastens. Der Blick fällt auf die Pendelstange samt Linse. Doch all das interessiert den Uhrmachermeister weniger. Seine Konzentration ist auf die Schraubmutter unter der Pendellinse gerichtet. Vorsichtig drehen seine Finger die Mutter um eine Achteldrehung. „Mal sehen, ob das jetzt reicht“, sagt Stevens.

Genau diese Schraubmutter ist es, die den Anrather seit dem 11. Juli jeden zweiten Tag auf den Kirchturm steigen lässt. Die Feinjustierung der Turmuhr ist angesagt, und diese erfolgt über die kleine Schraube. Schon seit Jahren kümmert sich der Uhrmachermeister ehrenamtlich um die Kirchturmuhr. Es ist eine Art Familientradition, denn sein Vater war es, der 1972 die Uhr der Firma Korfhage & Söhne mit einbaute und danach ebenfalls betreute.

Heinrich Stevens, Uhrmachermeister

Das inzwischen 45 Jahre alte Uhrwerk hatte in den vergangenen Monaten gehakt. Es lief nicht mehr richtig, und die Anrather wunderten sich, wenn sie auf ihre Kirchturmuhr blickten und diese zeitlich etwas völlig anderes angab als die eigene Uhr am Handgelenk. Bei Stevens, im Pfarrbüro und bei Peter Theisen, Mitglied des Kirchenvorstandes, häuften sich Anfragen von Bürgern. „Sie alle wollten wissen, was mit der Kirchturmuhr los ist. Zumal sie nicht nur durch Vor- und Nachgänge auffiel, sondern auch akustisch“, berichtet Theisen.

Das Geläut „Engel des Herrn“, das normalerweise pünktlich um 7, 12 und 19 Uhr zu hören ist, wird nämlich durch die Uhr ausgelöst. Da die Uhr nicht korrekt tickt, erfolgte ein entsprechend zeitlich unkorrektes Läuten. „Rund ein Jahr habe ich versucht, die Uhr einzuregulieren. Es ging einfach nicht mehr“, berichtet Stevens. Zwischen den Zahnrädern war Öl verharzt. War das Wetter kalt, verklebte es das Uhrwerk, was zu einer Verlangsamung führte. Wurde es warm, driftete der Effekt in die andere Richtung ab.

Der Kirchenvorstand beschloss eine Reinigung des Uhrwerkes. Mitarbeiter von Korfhage & Söhne rückten am 11. Juli an, um das Universal-Turmuhrwerk UT 6000 zu reinigen. Dafür stand die Uhr einen Tag lang still, da das Uhrwerk komplett zerlegt werden musste. Abends um 20 Uhr setzten sie die Uhr wieder in Gang. Doch nun ist noch die Feinjustierung angesagt. Mit der Schraubmutter verschiebt Stevens die Pendellinse auf der Pendelstange. Das verändert die Länge des Pendels. Je kürzer es ist, desto schneller schlägt es. Ist die Uhr gut justiert, sind lediglich 30 Sekunden Abweichung pro halbem Jahr normal und erfordern erst dann wieder eine Neujustierung durch den Uhrmachermeister.

„Da ich keine Orientierung an der Schraube habe, ist derzeit Ausprobieren angesagt, bis ich die richtige Justierung gefunden habe und die Uhr korrekt läuft“, erklärt Stevens. Er geht von zwei bis drei Monaten aus, bis alles stimmig ist und Anrath wieder eine präzise Zeit sein Eigen nennen kann. Solange heißt es für ihn Turmtreppen hinaufsteigen und nachjustieren, damit die Mechanik erneut auf die optimale Ganggenauigkeit eingestellt ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort