Wenn Papa seine Weiblichkeit auslebt

44 Jahre lang hat der dreifache Vater mit seinem Outing gewartet. Heute nennt sich Dirk Deana.

Wenn Papa seine Weiblichkeit auslebt
Foto: Knappe

Kaldenkirchen. Als Deana Evers ihren Kindern mitteilte, dass sie offen als Frau leben wolle, hatte sie mit Entsetzen und Unverständnis gerechnet. Immerhin hieß sie bis dahin Dirk, war 44 Jahre ein Mann gewesen und Vater von drei Kindern. Die heute 50-Jährige brachte vor lauter Schluchzen kaum ein Wort heraus, ihre Ehefrau sprang ein und berichtete den drei gemeinsamen Kindern von der Entscheidung. Von Bestürzung war allerdings keine Spur. Der älteste Sohn sagte bloß: „Ist doch nicht schlimm. Wir hatten schon Angst, dass Du krank bist.“

Deana Evers

Evers lebt mit ihrer Familie in Kaldenkirchen. Sie ist Blicke gewöhnt, große Augen, Erstaunen. „Aber das ist nur Neugier“, sagt sie. „Das nehme ich nicht persönlich.“ Für die Menschen ist sie einerseits offensichtlich eine Frau: feminine Kleidung, Make-up, schulterlanges Haar. Andererseits hat sie breite Schultern und kräftige Hände, einen leichten Bartschatten sowie eine tiefe Stimme. „Ich finde die Irritation der meisten eher zum Schmunzeln als verletzend.“

Wie bei vielen transgeschlechtlichen Menschen hat auch Evers schon als Kind gespürt, dass sie anders ist. Bei der Kommunion warf sie ihren Freundinnen neidische Blicke zu: „Ihre Kleider waren viel schöner als unsere Anzüge“, sagt sie und lacht. Damals verstand sie das nicht, verdrängte ihre Gefühle. „Die Rolle, die mir vom Leben zugewiesen worden war, habe ich erfüllt.“

Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland transgeschlechtlich sind, gibt es nicht. Erfasst werden diejenigen, die ihren Namen und/oder Personenstand offiziell ändern lassen. Aber auch hier sei es schwierig, sagt Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und verweist auf die Internetseite der Selbsthilfe-Organisation Trans-Ident. Demnach haben 17 255 Personen zwischen 1991 und 2013 ihren Stand im Verfahren nach dem Transsexuellengesetz ändern lassen. Das können sie inzwischen, ohne eine Hormonbehandlung oder eine geschlechtsanpassende Operation hinter sich zu haben — bis 2011 war das Voraussetzung. Zwar sei das Transsexuellengesetz aus den 1980er-Jahren damals relativ fortschrittlich gewesen, sagt Ulrich, aber „das Bundesverfassungsgericht hat vieles gekippt, weil es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar war“. So habe sich ein verheirateter Transgeschlechtlicher bis 2008 scheiden lassen müssen, wenn er seinen Stand ändern lassen wollte. „Weil es keine gleichgeschlechtlichen Ehen geben durfte“, sagt der LSVD-Sprecher. „Bis 2011 musste er sich zudem sterilisieren lassen.“

Evers hat bei ihrer Entscheidung den Rückhalt ihrer Familie und Freunde. Aus der Selbsthilfegruppe weiß sie, dass das nicht die Regel ist. Ganz unvorbereitet war ihre Frau damals aber nicht gewesen. „Als bei uns Hochzeit und Kinder anstanden, habe ich ihr gebeichtet, dass ich gerne Frauenkleider trage. Das war für sie kein Thema. Sie reagierte stets toll.“ Die Umstellung fing mit der Kleidung an, die Haare wurden länger. „Aber mir war nicht klar, wo der Weg hinführt“, sagt Evers. Damals arbeitete sie in einem Immobilienunternehmen in Bonn, sagte zu ihrem Chef: „Nach Ostern möchte ich als Frau Evers angesprochen werden.“ Es gab eine Info-Mail an die Kollegen, das Namensschild an der Tür und die Visitenkarten wurden ausgetauscht. „Ich fühlte mich wohl“, sagt Evers. Dann kam die Insolvenz und damit Evers tiefster Punkt.

Sie hatte damals noch nicht den Mut, sich woanders als Frau zu bewerben, wechselte wieder in die Männerrolle. Zwei Jahre arbeitete sie bei einem Versicherungsmakler, gab sich als Mann. Es folgten Depressionen, Schlaflosigkeit, es ging an die Substanz. „Irgendwann bin ich zum Bahnhof gegangen, hatte den Hund schon an den Zaun gebunden, und das wäre es gewesen“, sagt die 50-Jährige. Doch statt sich auf die Gleise zu stellen, traf sie erneut eine Entscheidung: „Outing mit allen positiven und negativen Konsequenzen.“ Noch immer sind die 50-Jährige und ihre Frau ein Paar, im Alltag hat sich nicht verändert. Evers besucht Handballspiele ihres jüngsten Sohnes, geht mit der Tochter shoppen. Nur einen neuen Job, den sucht Evers noch.

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