Naturschutz am Niederrhein: Wo geht es lang?

Im Naturschutzgebiet lebt zuviel Damwild. Um die Ursache gibt es heftigen Knatsch.

Niederrhein. 21 Kilometer lang ist der Zaun. Er umschließt eine Fläche von gut 1200 Hektar. Ein Naturschutzgebiet, wie es nur wenige gibt in NRW. Denn bis zum Abzug der britischen Streitkräfte diente das Brachter Depot, unmittelbar an der niederländischen Grenze gelegen, als Munitionslager.

Nach dem Ende der militärischen Nutzung blieb viel unberührte Natur. Doch da, wo sich sonst in einer Niederrhein-Idylle Fuchs und Igel gute Nacht sagen, ist ein heftiger Streit entbrannt. Es geht um Damwild, Fütterungen und Abschussquoten. Und Kontrahenten, die sich schier unversöhnlich gegenüberstehen.

Seit 1998 ist die NRW-Stiftung Eigentümerin von rund 70 Prozent der Flächen, der Rest gehört der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Viersen. Zehn Jahre lang ging alles gut. Dann fiel auf, dass es zuviel Damwild im Gelände gibt. Über 1000 Tiere wurden gezählt. Die halten praktisch kostenlos den Bewuchs kurz. Auch Heidschnucken, Galloway-Rinder und Pferde sorgen dafür, dass der Mensch nicht Hand anlegen muss.

Doch dieser Damwild-Bestand, sagen die Naturschützer von der NRW-Stiftung, ist viel zu hoch. Der Nährstoffeintrag bringe das Gleichgewicht durcheinander. Und seitdem wurden die Abschussquoten für die Jagdreviere im Depot deutlich erhöht. So wurden in der letzten Jagdzeit von April 2009 bis 31. Januar 652 Stück Damwild erlegt - 620 sah der Abschussplan vor.

"Das wird auch so bleiben müssen, bis wir in drei bis vier Jahren wieder einen normalen Damwildbestand im Depot haben", sagte gestern Jochen Borchert, früherer Bundeslandwirtschaftsminister und jetzt Präsident der NRW-Stiftung, vor Journalisten im Heide-Camp am Rande des Naturschutzgebietes. Der Landschaftsplan sehe für das 1200 Hektar große Gebiet nur insgesamt 72 Stück Damwild vor.

Jochen Borchert, Präsident der NRW-Stiftung

Für einen Bestand von über 1000 Tieren gebe es kein Futter im Revier, das Wild verhungere, sagt Borchert. Für ihn ist unerklärlich, wie es unbemerkt von Forstbetrieb, Jagdbehörde und Biologischer Station zu diesem großen Damwild-Anstieg kommen konnte und nicht frühzeitiger darauf reagiert wurde. Die NRW-Stiftung, so Borchert, habe erst 2008 davon erfahren.

Der Präsident hat als einen Verursacher Rolf Adolphs ausgemacht. Der ist Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft und einer der Jagdpächter im Revier. Adolphs hat über Jahre die Tiere gefüttert - "Notfütterung", heißt das in der Jägersprache. Hier beginnt der jagd-juristische Bereich, in dem letztlich wohl die Gerichte entscheiden müssen.

Über Notfütterung entscheidet der Jagdausübungsberechtigte, sagt Adolphs, der zudem die Genehmigung der Unteren Jagdbehörde eingeholt hat. Außerdem handele es sich beim Depot um ein Jagdgatter, in dem immer gefüttert werden dürfe. Dass es sich um ein Jagdgatter handelt, hat zwischenzeitlich die Landesregierung bestätigt.

Das zweifelt auch Borchert nicht an. Doch die Fütterungen widersprächen dem Naturschutzgedanken und dem Jagdrecht - weshalb er in seiner Funktion als Präsident des Landesjagdverbandes NRW beantragt hat, Herrn Adolphs den Jagdschein entziehen zu lassen. "Ich will mich nicht vor schwarze Schafe stellen, Jäger müssen sich an die Vorschriften halten", so Borchert, "Adolphs hat eindeutig gegen Auflagen verstoßen."

Den Antrag hat inzwischen die Kreisverwaltung Viersen als Untere Jagdbehörde abgelehnt; die Überprüfung habe ergeben, dass Herrn Adolphs keine jagd-, naturschutz- und tierschutzrechtlichen Verstöße vorzuwerfen seien. Gegen diesen Bescheid hat die Landesjagdbehörde bislang keinen Widerspruch eingelegt.

Inzwischen wurde im Naturschutzgebiet Brachter Wald eine "Task-Force Damwild" eingerichtet. Die schnelle Eingreiftruppe soll dafür sorgen, dass die Abschussquoten eingehalten werden und der Damwild-Bestand weiter reduziert wird. Im Frühjahr soll dann wieder gezählt werden. Verhungern sollen die Tiere aber nicht, so die "Task Force": Bis Ende Mai gilt "Notfütterung".

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