Therapeutisches Reiten: Runden auf Mollys Rücken

Therapeutisches Reiten ist seit Jahren fest verankert im Freizeit-Programm des RBB Vorst für erwachsene Behinderte. Walburga Engel bietet es auf dem Spiegelshof an.

Tönisvorst. Herbert ist ein großgewachsener Mann, Mitte 50. Er steht auf der hölzernen Rampe in der Reithalle und richtet seinen Blick auf Mollys breiten Pferderücken. Auf Kommando winkelt er sein linkes Bein an und lässt sich auf das Tier gleiten. Beide Hände umschließen die Sattelgurtgriffe. „Sollen wir eine Runde reiten?“ Reittherapeutin Walburga Engel wartet auf Herberts Zustimmung. Erst dann gibt sie ihrer jungen Assistentin Bianca, die Haflinger Molly am Halfter hält, ein Zeichen: „Wir gehen ganz langsam.“

Uschi Schiffer ist begeistert. Sie hält neben Herbert auf der anderen Seite des Pferdes Schritt. Die Mitarbeiterin des Regionalen Beschäftigungs- und Begegnungszentrums Vorst (RBB) erinnert sich noch genau an den ersten Stallbesuch des geistig behinderten Mannes. „Herbert hat sich zunächst nur mit weit ausgestrecktem Arm dem Pferd genähert. An Reiten war erst nicht zu denken.“

Diesmal legt Herbert gleich zwei Runden in der Reithalle des Spiegelshofs zurück und grinst ohne Unterlass. Als Pferd und Reiter an einem Spiegel vorbeikommen, lässt Walburga Engel Molly stoppen. Herbert sieht sich im Spiegel und reckt vor Freude die Arme nach vorn und in die Höhe, sitzt kerzengerade und freihändig auf Mollys Rücken. Herbert strotzt in dem Moment vor Selbstbewusstsein.

Vor ihm hat Ulrike schon ihre Runden gedreht. Ulrike ist blind. Wer sie auf dem Pferd sitzen sieht, bemerkt das nicht unbedingt. Geschmeidig wippt ihr Körper auf dem Haflingerrücken. Molly und sie sind im Rhythmus.

Seit über zehn Jahren gehört das therapeutische Reiten für körper- und geistig behinderte Erwachsene zum Freizeit- und Beschäftigungsprogramm des RBB, seit einigen Jahren nutzen sie Hof und Halle von Reitlehrerin Walburga Engel. „Reiten ist hochgradig koordinativ“, sagt sie. „Der Gang des Pferdes im Schritt entspricht unserem Gang“, sagt sie. Die Muskeln der Reiter werden gelockert.

Lydia, die nun auf Molly sitzt, balanciert die Bewegung des Pferdes aus, ihr Rumpf ist stabil. Geschulte Pferde wie Molly regieren auf die körperlichen Einschränkungen des Reiters. Walburga Engel: „Molly sollte ein Turnierpferd werden. Aber keine Chance. Sie mag nicht den Druck vom Reiten. Als sie zu uns kam, haben wir sofort gemerkt, dass sie sich als Therapiepferd bestens eignet.“

Ralf muss an diesem Mittag am längsten auf seine Runden warten. Für den besten Reiter der RBB-Gruppe ist Felina gesattelt. Ralf reitet an der Longe, hält sich auch im Trab gerade auf dem großen Pferd mit einem Stockmaß von 1,68 Meter. Während er Runde um Runde in der Halle reitet, warten die anderen Reiter mit Ulrike Schiffer und deren Tochter Juschka im Vorraum. „Gleich gibt’s Kaffee und Weckmann für alle“, sagt Schiffer— zum Abschluss eines Mittags, der Bewegung und Entspannung zugleich gefördert hat.

Bevor Ralf absteigt, tätschelt er Felinas Hals. „Gut gemacht“, sagt er. Ein Kompliment, das er sich auch selbst geben könnte.

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