G8/G9: Eltern-Kritik an Volksbegehren

Vertreter integrierter Schulen, zum Beispiel Gesamtschulen, sind gegen einen Passus des Gesetzesentwurfs. Sie befürchten Unterrichtskürzung in Sekundarstufe I.

G9 soll das Turbo-Abi ablösen? Eine Elterninitiative hat ein Volksbegehren dazu angestrengt. Vertreter anderer Schulen sehen Risiken.

G9 soll das Turbo-Abi ablösen? Eine Elterninitiative hat ein Volksbegehren dazu angestrengt. Vertreter anderer Schulen sehen Risiken.

Foto: Armin Weigel /dpa

Tönisvorst. Im Rathaus an der Bahnstraße in St. Tönis liegt noch bis zum 7. Juni eine Liste aus, in der man sich für das gerade angelaufene Volksbegehren zur Wiedereinführung von G9 eintragen kann. Solche Unterschriftenlisten halten alle 396 Städte und Gemeinden des Landes bereit. In Willich haben bisher 68, in Tönisvorst 36 Bürger unterschrieben.

G9? Die Abkürzung zielt auf die Dauer der Schulzeit ab. Sie meint die Zeit, die ein Schüler auf der weiterführenden Schule bis zum Abitur durchläuft, das er in Klasse 13 macht. G8 steht für die verkürzte Schulzeit, Abi nach acht Jahren. Es wird auch Turbo-Abi genannt.

Erhöhter Leistungsdruck, Nachmittagsunterricht, Schulstress sind Argumente derer, die fordern, dass Kinder an einem Gymnasium das Abitur nach Klasse 13 ohne Pflicht zum Nachmittagsunterricht erreichen.

Diese Argumente sind auf der Homepage www.G9-jetzt-nrw.de nachzulesen. So heißt die „Elterninitiative für Kinderrechte“, die das Volksbegehren angeschoben hat. Sie hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Änderungen im Schulgesetz für das Land NRW vorsieht. Unter anderem soll, wenn der Vorstoß bis zum 4. Januar 2018 die dafür erforderlichen 1, 06 Millionen Unterschriften deutscher Staatsbürger ab 18 Jahre in NRW bekommt, dem § 12 dieser Absatz angefügt werden: „Der Pflichtunterricht für die Schülerinnen und Schüler beträgt in der Sekundarstufe I maximal 180 Jahreswochenstunden.“

Begründung der G9-Befürworter, die die Rückkehr zur sechsjährigen Mittelstufe anstreben: Mit dieser Vorschrift wird bestimmt, dass in allen Schulen der verpflichtende Unterricht wieder maximal sechs Stunden am Tag beträgt. Somit wird Halbtagsunterricht wieder ermöglicht (. . .).“

Angela Krumpen, Schulpflegschaftsvorsitzende der Sekundar- und wahrscheinlich künftigen Gesamtschule Tönisvorst

Vor der Zustimmung zu diesem Passus warnt die Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW (LEiS), die Gesamt-, Haupt-, Real- und Sekundarschulen vertritt. Sie befürchtet, dass mögliche Auswirkungen des G9-Volksbegehrens auf Gesamt-, Haupt-, Real- und Sekundarschulen unterschätzt werden könnten.

Laut LEiS-Vorsitzendem Ralf Radke stehe G9 für die Kürzung des Unterrichts in den Klassen 5 bis 10 für alle Schulen aller Schulformen. Er spricht von einer Reduzierung der Stundentafel von acht Stunden, von einer Unterrichtskürzung von fast fünf Prozent.

Er befürchtet, dass wenn die Regelungen des Gesetzentwurfes von G9 Eingang ins Schulgesetz finden, „Schülern im Umfang der Ergänzungsstunden Lernzeiten verloren gehen“. Einen solchen Eingriff in Fördermöglichkeiten hält er für unvertretbar — unter anderem angesichts der Herausforderungen in Zeiten von Inklusion und Integration.

„Risiken“ sieht er in dem Volksbegehren im Detail, „in den gesetzlich festgelegten Schritten“. Findet der vorgelegte Gesetzentwurf der Initiative genügend Unterstützer, stimmt der Landtag darüber ab. „Anders als bei anderen Gesetzesvorhaben gibt es keine Möglichkeit, den Gesetzesentwurf etwa im Rahmen von Expertenanhörungen noch zu verändern.“ Dabei schlügen, so LEiS, die im Mai zur Wahl stehenden Parteien inzwischen in unterschiedlicher Weise die Wiedereinführung neunjähriger Bildungswege für die Gymnasiasten in NRW vor.

Die CDU ist dafür, dass Schulgemeinden, bei denen das G8-Modell erfolgreich ist und wo die Beteiligten keine Veränderungen wünschen, an ihrem Modell festhalten können sollen. „Die, die wissen, dass das Abitur nach 13 Jahren für sie der bessere Weg ist, sollen diese Möglichkeit erhalten. G8 und G9 werden gleichberechtigt im Schulgesetz verankert.“ Es soll aber keine Doppelstrukturen an ein- und derselben Schule geben.

Die SPD kündigt in ihrem Programm zur Landtagswahl 2017 an: „Wir werden mehr Zeit zum Leben und Lernen geben. Dazu wird die Sekundarstufe I am Gymnasium wieder sechs statt fünf Schuljahre umfassen und damit allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eröffnen, einen qualifizierten Abschluss zu erreichen. Die Oberstufe kann individuell in zwei oder in drei Jahren durchlaufen werden.“

Die FDP nennt in ihrem Wahlprogramm als eine von „vier Kernmaßnahmen für weltbeste Bildung“ die „Gestaltungsfreiheit für Schulen durch ein Schulfreiheitsgesetz“. Die einzelne Schule wisse selbst am besten, was für ihre Schüler gut ist. Entscheidungen über Organisation, Finanzen, Pädagogik und nicht zuletzt über personelle Gestaltung sollten Schulen deshalb künftig selbst treffen können. „Das umfasst für uns auch die Frage, ob das Abitur nach acht oder neun Jahren erreicht wird (G8/G9).“

Das Statement der Grünen ist „Individuelle Lernzeit“. Sie soll „in den Klassen 7 bis 10“ stattfinden. „Entweder bildet die Schule nach der Klasse 6 einen dreijährigen und einen vierjährigen Zweig. Oder die Schule bietet allen Kindern in diesem Zeitraum neben dem Unterricht im Klassenverband auch individuelle Lernzeiten an, mit Wahlpflichtfächern und dem Besuch des Unterrichts höherer und/oder niedriger Jahrgangsstufen je nach Lernfortschritt. Dann kann die Zeit bis zur Oberstufe fünf oder sechs Jahre dauern. Der Weg zum Abitur: Die gymnasiale Oberstufe bleibt dreijährig.“

Die Linkefordert in ihrem Programm: „Schulzeitverkürzung (G8) an Gymnasien sofort zurücknehmen!“ Sie setzt sich in NRW „für den gemeinsamen Besuch einer Schule für alle Kinder bis zur 10. Klasse nah am Wohnort ein. Für den weiteren schulischen Bildungsweg sollen Oberstufenzentren eingerichtet werden.“

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