So liebt der Niederrhein Der Tod, die Liebe und das Internet

Regina und Josef sind seit 13 Jahren ein Paar. Kennengelernt haben sie sich über „verwitwet.de“.

So liebt der Niederrhein: Der Tod, die Liebe und das Internet
Foto: Kurt Lübke

Niederrhein. Es ist eine Geschichte von Tod, Trauer, Freunden und neuer Liebe. Von einem Prozess, der ebenso schwer wie schön, traurig und lebensbejahend ist. Eine Geschichte, bei der Zufall/Schicksal/Vorsehung ebenso im Spiel sind wie das Internet. Wie Regina und Josef vor dem Nichts stehend sich fanden. Beide wohnen am Niederrhein, möchten ihren wirklichen Namen aber nicht in der Zeitung lesen.

So liebt der Niederrhein: Der Tod, die Liebe und das Internet
Foto: Kurt Lübke

Josef (damals 43 Jahre alt): Im Februar 2002 war Elke gegangen, meine Ehefrau. Still und leise hatte sie aufgehört zu leben. Überraschend war’s nicht, es hatte sich seit Wochen abgezeichnet.

Und doch: Wenn es geschieht, ist alles anders. Ja, ich ging zur Arbeit, mied das zu frühe nach Hause kommen, ging lieber zu Freunden, Familie oder Bekannten. Gesellschaft tat gut, der Versuch, auch nur ansatzweise eine neue Beziehung zu knüpfen, ging daneben, bevor er begonnen hatte. Alles fühlte sich irgendwie kalt an.

Regina (damals 40 Jahre alt): Im Oktober hatte Josef, mein Mann, sich verabschiedet. Morgens fand ich ihn tot auf dem Sofa. Weg, er war einfach weg — ein Umstand, den ich bis heute nicht begreifen kann. Ein Mensch ist auf einmal einfach nicht mehr da.

Ganz schnell ging ich wieder arbeiten. Ich funktionierte. Das war’s aber auch schon. Eine Freundin meiner Eltern hatte mir schon früh gesagt: „Du machst nicht den gleichen Fehler wie ich. Du wirst nicht alleine bleiben.“ Wie das gehen sollte — keine Ahnung.

Josef: Irgendwie ging das Jahr um. Und irgendwie stellte sich so was wie eine neue Normalität ein. Zu viel Stimmung oder Fröhlichkeit konnte ich nicht vertragen, musste oft dann einfach gehen und den Raum oder die Veranstaltung verlassen. Immerhin, zur neuen Normalität gehörte, dass ich ganz normal mit Frauen umgehen konnte, ins Kino gehen, einen Kaffee trinken, quatschen. Die späten Abende verbrachte ich im Internet, stieß dort auf die Seite verwitwet.de. Und stellte fest: Ein Einzelfall bist du wahrlich nicht.

Regina: Ich arbeitete mich durchs Jahr. Der Job, mein Hund, enge Freunde nebenan. All das trug zu einer gewissen Normalität bei — weit weg von dem, was sie mal gewesen war. Die Sonntage waren schwierig. Alle machen dann auf Familie, ich machte mich an die Hausarbeit. Immerhin: Es war dieser Traumsommer, der nach hinten raus kein Ende finden wollte. Im Internet stieß ich auf verwitwet.de, merkte, dass es viele Frauen mindestens genauso heftig getroffen hatte. Und anders als ich, standen sie oft ohne jede finanzielle Absicherung da.

Josef: Die Seite verwitwet.de erwies sich als richtig interessant. Immer wieder traf ich dort Menschen, die Spannendes zu erzählen hatten. So ganz nebenbei entwickelte sich in der realen Welt eine Beziehung. Die aber plötzlich beendet wurde. Ich hätte nichts mit dem Scheitern zu tun, wurde mir signalisiert.

Beim Stöbern auf „meiner“ Internetseite stieß ich auf eine Regina aus Nettetal. Die in ihrem Profil hinterlassen hatte: „Eigentlich funktioniere ich nur. Von einem Tag zum anderen.“ Ich fand das sehr, sehr traurig. Schrieb einen Gruß. Einfach so. Nur ein paar nette Worte. Nicht mehr. Beim Abschicken passierte es: Der Computer schmierte ab. Es blieb die Frage: War die Mail angekommen?

Regina: Es blieb dabei: Das Gefühl, mal richtig durchatmen zu können, stellte sich nicht ein. Der nahende Jahrestag des Todes von Josef machte das nicht besser. Meine Freunde spürten das. Und ließen mich nicht aus den Augen. Dann näherte sich der Jahrestag. In der Nacht tat ich kein Auge zu, ging auch gar nicht ins Bett. Als der Morgen kam, konnte ich Luft holen. Ich glaube, irgendwie hatte ich es geschafft, Abschied zu nehmen. Bis heute weiß ich nicht genau wie.

Josef: Ja, die Sache mit der Mail. In meinem Computer konnte ich es nicht feststellen. Ich wandte mich schließlich an den Systemadministrator. Und der riet mir: Einfach noch mal schicken. Wo die alte geblieben sei, lasse sich nicht mehr klären. Ich bummelte ein, zwei Tage, schickte dann erneut eine Mail. Und bekam Antwort.

Regina: Am Tag nach dem Todestag schmiss ich den Computer an. Und erschrak. Im E-Mail-Account fand ich eine richtig nette Mail. Von einem Mann namens Josef, also genauso wie mein verstorbener Mann. Ich schüttelte mich, schrieb eine Antwort. Und bekam eine Antwort. Und schrieb eine Antwort.

Josef: Damit hatte ich nicht gerechnet. Sie schrieb tatsächlich zurück. Nicht überlang. Klare Sätze, prägnant in der Aussage und erkennbar, dass die E-Mail nicht ihr Standard-Medium war. Nach einer Weile schlug ich vor, zu telefonieren. Sie willigte ein. Rief mich an. Das Telefonat dauerte lange, Stunden. Das setzte sich im Laufe der Tage fort. Irgendwann kam der gemeinsame Vorschlag, sich zu treffen.

Regina: Ich fuhr hin. Die ganze Zeit fragte ich mich: Was mache ich hier. Fragte mich, ob es das schlechte Gewissen gegenüber meinem verstorbenen Mann war. Es war ein schöner Abend, aber beim Abschied war klar, es könne nicht weitergehen. Das sagte ich ihm am nächsten Tag.

Josef: Na sicher hatte ich gemerkt, dass sie eher reserviert war. Und als sie sagte, sie war noch nicht so weit, war klar: Das konnte nichts werden. Bis denn nach einigen Tagen eine SMS einlief mit dem Inhalt: Ich vermisse unsere Telefonate. Nun, dem konnte abgeholfen werden.

Es kam, wie es häufig kommt: Weitere Treffen, zunehmend entspannter. Nach kurzer Zeit waren beide ein Paar. Was durchaus in der jeweiligen Umgebung nicht nur positiv aufgenommen wurde, aber das ist eine andere Geschichte und nun 13 Jahre her.

Für beide gilt immer noch: Leben, lasst uns leben, es genießen. Warum etwas verschieben? Wenn es Dinge gibt, die man machen sollte, warum nicht sofort? Und die Erkenntnis: Der Spruch, demzufolge das Leben weiter geht, stimmt. Die Frage ist nur, wie sehr sich Menschen vom Strom des Lebens mitziehen lassen. Wie das Regina und Josef taten.

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