So schön sieht Nettetal für Graureiher aus

Bei einer Zählung der majestätischen Tiere hat die Autorin im Flugzeug deren Perspektive eingenommen.

Nettetal. Michael Müllers schiebt das schwere Tor zu Halle 3 auf. Die Sonnenstrahlen fallen in den dunklen Raum. Mit einer Armverlängerung zieht der Pilot die Maschine ins Freie. Schon steht die Cessna 172 auf der Startbahn. Der Wind braust über die Rasenfläche. Heute findet ein Rundflug mit Biotop-Schützer Bernd Rosenkranz statt. Ich begleite ihn und den Piloten zu den Graureiherkolonien an Nette und Swalm.

Rosenkranz ist seit mehr als 50 Jahren Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Biotopschutz im Kreis Viersen. Anhand von Bodenzählungen und Luftbildaufnahmen erfasst der 79-Jährige seit vielen Jahren die Graureiherhorste in NRW. Müllers (46) unterstützt ihn seit 25 Jahren. „Graureiher leben meist in Kolonien. Ihre Horste sind besonders häufig in Nadelbäumen an Autobahnen zu finden“, erklärt Rosenkranz. In den vergangenen Jahren stellte er in mehreren Regionen einen Rückgang der Kolonien fest. Der Biotop-Schützer vermutet, dass die Ursache dafür unter anderem die wachsende Waschbärenpopulation oder auch störende Sendesignale von Funkmästen sein könnten.

Wir steigen in den nostalgisch aussehenden Vier-Personen-Flieger ein. „Der Wind ist heute böig. Aber ich bin guter Dinge“, sagt Rosenkranz. Müllers setzt die Kopfhörer auf und lässt den Motor an. Es klappert und quietscht, rüttelt und schüttelt. Das Geräusch von Motor und rotierendem Propeller erinnern an das Surren eines Rasenmähers. Wir werden schneller und heben ab. Ich schließe für einen Moment die Augen. Meine Muskeln ziehen sich zusammen. Dann fließt Adrenalin durch meine Adern. Müllers öffnet das Fenster. Mit 180 Stundenkilometern greift der Wind in meine Haare. Meine Augen tränen. Vielleicht vom Wind, vielleicht aber auch, weil ich überwältigt bin.

Als erstes steuert Müllers das Horstgebiet Haus Langenfeld an der Autobahn 40 an. „Seit ein paar Jahren sind hier keine brütenden Graureiher mehr gesichtet worden“, sagt Rosenkranz. So auch heute nicht. Es geht weiter in Richtung Süd-West.

Aus der Ferne sind die ersten Graureiher zu sehen. Majestätisch breiten sie ihre langen Flügel aus. Die Horste sind als kleine, weiße Tupfer in den noch kahlen Baumkronen zu erkennen. Rosenkranz zählt etwa 30 Nester in der Kolonie Sekretis an den Krickenbecker Seen. Die südlich gelegene Kolonie Schloss Dilborn hingegen ist noch relativ jung. Dort erfasst Rosenkranz zehn bis zwölf besetzte Horste. Zuletzt lässt Müllers den Flieger in einer 45-Grad-Neigung um die 25 bis 30 Nester an der A52 in Niederkrüchten-Gützenrath kreisen. Dann dreht er das Steuer wieder Richtung Flugplatz Grefrath-Niershorst.

Wir landen auf dem Rollfeld und steigen aus. Mein Kopf fühlt sich noch leicht betrunken an. Ein Ausflug mit der Cessna 172 ist definitiv nichts für Menschen, die schwache Nerven haben.

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