Technik: An Bord der Tante Ju

Die legendären Maschinen gehen noch immer in die Luft — für Passagiere ein tolles Erlebnis.

Mönchengladbach. Als Passagier an Bord einer Ju 52 der schweizerischen Ju-Air oder der deutschen Lufthansa-Berlin-Stiftung wird man quasi ein Dreivierteljahrhundert zurückversetzt. Allerdings ist immer eine geballte Ladung fliegerisches Knowhow im Cockpit der betagten Ju 52 — Spitzname „Tante Ju“ — versammelt: Beide Flugzeugführer sind normalerweise in modernen Jets unterwegs. Und selbst der zwischen ihnen sitzende Flugingenieur ist oft zusätzlich auch noch Pilot.

An diesem Morgen sind aber, anders als im fliegerischen Alltag der drei Männer, weder Autopiloten noch Sidesticks gefragt, stattdessen ist in den nächsten 30 Flugminuten Luftfahrt wie zu Großvaters Zeiten angesagt: Das bedeutet Fliegen nach Sicht, drei klassische Sternmotore, jede Menge Handarbeit beim Steuern und der Blick auf das für Junkers-Flugzeuge typische Wellblech.

Nach dem Anlassen der Motoren erfüllt ein mächtiges Brummen die Kabine, das Flugzeug vibriert, dröhnt, schüttelt — kurz: die Tante Ju lebt. In gespannter Vorfreude ihrer Passagiere rollt die Dreimotorige zur Starbahn. Vor der Runway laufen die Triebwerke noch einige Minuten warm, im Cockpit arbeitet die Crew ihre Pre-Start-Checkliste ab, dann geht es los.

Sanft und relativ langsam im Vergleich zu einem modernen Jet nimmt die Junkers Fahrt auf, nach etwa 150 Metern hebt sich das Heck der Maschine und wenige Sekunden später nimmt sie der Pilot durch leichtes Ziehen am Holz-Steuerrad vom Boden weg. Sachte steigt die Ju trotz einer beeindruckenden Geräuschkulisse bis auf eine komfortable Reiseflughöhe für den Sichtflug von etwa 5000 Fuß, umgerechnet rund 1600 Meter.

Dann geht es im gemütlichen Tempo von etwa 180 Kilometern in der Stunde weiter. Den 15 bis 16 Passagieren steht nun ein besonderes Highlight bevor: Nachdem der Flugingenieur alle drei Triebwerke fein sauber aufeinander synchronisiert hat, verlässt er seinen Platz zwischen den Piloten und setzt sich ins Heck der Maschine. Jetzt ist der Weg für die Gäste an Bord frei, nacheinander darf jeder einen Blick ins Cockpit werfen und den Piloten bei ihrer Arbeit zuschauen.

Der Blick auf die beiden hölzernen Steuerhörner, die zumeist originalen Instrumente und die nostalgisch-verspielten Windschutzscheiben machen die Illusion einer Zeitreise perfekt. Die Ju 52 etwa der Deutschen Lufthansa Berlin-Stiftung — gebaut 1936 bei den Junkers Werken in Dessau (siehe Info-Kasten) — hat schon unzählige Crews erlebt und bewegte Zeiten hinter sich.

Ursprünglich als Wasserflugzeug auf Schwimmern mit der Kennung D-AQUI bei der deutschen „Luft Hansa“ eingesetzt, ging die Ju schon nach zwei Monaten nach Norwegen zur dortigen Fluggesellschaft DNL. 1940 kam sie zurück zur Luft Hansa, um wiederum fünf Jahre später nach Kriegesende nochmals bei der DNL in Skandinavien eingesetzt zu werden.

Bereits 1956 drohte der damals gerade 20 Jahre alten Maschine aber der Zwangs-Ruhestand. Kurze Zeit später hatte ein südamerikanisches Luftfahrtunternehmen Bedarf für ein robustes Frachtflugzeug. Anstelle der montierten Schwimmer bekam die Ju im ecuadorianischen Quito kurzerhand Räder spendiert und transportierte daraufhin Rinder, Fracht, Menschen — oder alles gleichzeitig im Amazonasgebiet.

Ende der 60er wurde die Ju 52 an einen Amerikaner verkauft, Anfang der 70er wechselte sie zu einem weiteren Eigentümer in die USA, der die Maschine als „Iron Annie 2“ in deutscher Militärbemalung auf US-Airshows flog. Nach und wurden die drei originalen BMW-Sternmotoren durch Pratt&Whitney-Triebwerke ersetzt; die Ju wurde somit auch triebwerkseitig zur Amerikanerin.

Verantwortliche der Lufthansa erinnerten sich Anfang der 80er an ihr einstiges Arbeitspferd, kauften die „Iron Annie“ kurzerhand ihrem Besitzer ab und holten sie quasi nach Hause zurück. Pünktlich zum 50. Geburtstag der D-AQUI und genau 60 Jahre nach dem ersten Linienflug der alten Luft Hansa war die Maschine 1986 wieder flugtüchtig und wurde auf den Namen Berlin-Tempelhof getauft. Seitdem befördert sie jedes Jahr von Frühjahr bis Herbst viele tausend Passagiere auf Rundflügen in Deutschland und einigen Nachbarländern für die Deutsche Lufthansa Berlin-Stiftung.

Mittlerweile ist die Maschine auf etwa 500 Meter über Grund gesunken. Der Flugingenieur sitzt wieder auf seinem Platz im Cockpit und fährt beim Anflug auf den Flugplatz die großen Landeklappen manuell nach unten aus. Mit etwa 120 Stundenkilometern geht es jetzt dem Erdboden entgegen.

Aufgesetzt wird mit der sogenannten Lufthansa-Landung. Das bedeutet: Zuerst berühren die beiden Räder des Hauptfahrwerks die Runway, dann wird die Ju langsamer, und irgendwann senkt sich das Heck der Maschine mit dem Spornrad sachte auf den Boden.

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