Schock-Aktion: Von der Disco in den Unfall-Albtraum

Eine nachgestellte Unfallszene samt blutüberströmter Opfer - die Hauptschule Niederkrüchten hat ihre Schüler am Freitag mit einer ungewöhnlichen Aktion für die Gefahren des Straßenverkehrs sensibilisiert.

Niederkrüchten. Es nieselt leicht. Die Neunt- und Zehntklässler der Gemeinschaftshauptschule Niederkrüchten ficht das nicht an. Schließlich haben ihnen ihre Lehrer für heute eine besondere Aktion versprochen: Eine Disco am frühen Morgen soll es geben.

Von neun bis kurz nach zehn läuft auch alles so, wie die Jugendlichen es sich vorstellen: Musik, Getränke, Chillen. Dann flimmert plötzlich etwas auf der Leinwand. Ein nächtlicher Unfall nach einem Disco-Besuch — verbogenes Metall, das einmal ein Auto war, Rettungskräfte. Die Schüler sind verwirrt. Die Vorhänge gehen auf — und draußen bietet sich ihnen ein ähnliches Bild wie das, das sie gerade im Film gesehen haben.

Feuerwehr mit Blaulicht steht bereit, Rettungswagen kommen an. Mittendrin ein dunkelblauer Fiesta und ein silberner Hyundai-Kombi, ineinander verkeilt, die Scheiben gesprungen. Die Jugendlichen gehen auf die vermeintliche Unfallstelle zu, bleiben in respektvollem Abstand stehen, sehen zu, wie die Retter ihr Werk beginnen. Die ersten zücken schnell ihre Handys, filmen und fotografieren. Andere stehen ganz still. Auch die Polizei ist da, beginnt mit der Unfallaufnahme. Routiniert markieren die Beamten die Positionen der beiden Wagen, die nur noch Schrottwert haben, während sich an den Autos Feuerwehr und Rettungskräfte um das Leben der drei Insassen bemühen.

Hauptkommissar Frank Gellen und seine Kollegen kennen solche Unfälle aus der Realität — besser als ihnen lieb ist. Auch wenn sie völlig unbeteiligt wirken, geht ihnen mancher Unfall nahe. „Es ist nicht nur die Trauer um die Opfer, es ist manchmal auch wirklich Wut, weil jemand sich am Steuer maßlos selbst überschätzt hat“, sagt Gellen zu seinen Gefühlen. An der Unfallstelle aber müssten sie ihren Job machen, helfen, was noch zu helfen ist. „Es gibt Situationen, da kommen auch bei uns hinterher die Tränen“, räumt er ein.

Die Jugendlichen wissen indes nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. Sie sind verlegen. „Hammer, wenn so was in echt passiert“, sagt die 17-jährige Angelina. Sie hat alles mit dem Handy gefilmt. „Das dauert verdammt lange“, meint Carolin (16). „Ich habe mir das schneller vorgestellt.“

Dann siegt doch die Neugierde. „Wo kommen die Autos her?“ wollen Angelina und Eileen (18) wissen. Vom Schrotthändler. „Ist da vielleicht echt jemand drin gestorben?“ Gellen geht mit den Mädchen zu den Unfallautos — auf der Suche nach Spuren. Im Fiesta hat der Airbag ausgelöst, aber es gibt kein Blut. „Hier hat der Fahrer wahrscheinlich überlebt“, erklärt Gellen den Mädchen. Auf dem Lenkrad des Hyundai ist eine undefinierbare Flüssigkeit angetrocknet. Es könnte Blut sein. Angelina schaudert. „Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch den Führerschein machen will.“

Das natürlich wäre nicht das Ziel der Aktion Disco-Fieber, die die Hauptschule nach einer Idee der Fahrlehrerin Isi Maas lange geplant hat. Es geht darum, den Jugendlichen bewusst zu machen, dass Alkohol und Autofahren auf keinen Fall zusammen gehören, wenn die Rückfahrt von der Disco nicht zum lebensgefährlichen Roulette werden soll. „Wenn wir mit der Aktion einen Unfall verhüten, dann war sie schon erfolgreich“, sagt Schulleiter Jakob Mülstroh.

Sein Kollege Ulrich Bartmann, der an der Schule die Mofa-Ausbildung leitet und Sicherheitsbeauftragter ist, hat den Tag koordiniert. Am Dienstag werden die Schüler gemeinsam mit den beteiligten Rettungskräften noch eine Nachbereitung vornehmen, damit sich das Gesehene auch wirklich in ihren Köpfen festsetzt.

Bartmann erinnert sich spontan an vier Schüler, die er in seinen 34 Dienstjahren schon während oder kurz nach ihrer Schulzeit als Unfallopfer zum Friedhof begleiten musste. Wahrscheinlich seien es aber noch mehr gewesen. „Der erste war Armin 1981, der hat sich mit einem Motorrad um den Baum gewickelt.“ Von denen, die beim Aktionstag dabei waren, hofft er, dass es ihnen niemals so geht.

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