Einkaufen 1963: Lebensmittel gab’s an jeder Ecke

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Walter Schöler, zuvor bei der Stadt beschäftigt, hat sich für die WZ Gedanken über die Veränderung der Lebensmittelbranche in St. Tönis gemacht.

St. Tönis. Die Versorgung der Bevölkerung durch Lebensmittelgeschäfte im St. Töniser Ortskern war noch vor einigen Jahren ein heftig diskutiertes kommunalpolitisches Thema. „Es drohte ein Versorgungsengpass, nachdem alle 35 Läden des Lebensmitteleinzelhandels, die es hier noch Anfang der 60-er Jahre gab, im Lauf der Jahre ihre Türen geschlossen hatten“, erinnert sich Walter Schöler. Sie konnten allesamt dem Druck der damals aufkommenden Discounter und Filialbetriebe nicht standhalten.

Nur noch der alte Wirichs-Markt an der Benrader Straße (2011 als Elli-Markt weiter geführt) und das Edeka-Geschäft am Biwak blieben übrig. Doch auch „Elli“ hat mittlerweile zu. Längst dicht ist auch der frühere Kaiser’s an der Streuffmühle. Auf der ehemaligen Parkpalette, heute „Neuer Markt“, wurde dagegen ein neuer Rewe-Markt gebaut, der guten Zulauf hat.

Meist erfolgt die Versorgung mit Lebensmitteln heute durch Verbrauchermärkte und Marktketten am östlichen und westlichen Rand von St. Tönis. Ohne Auto sind diese Geschäfte aber kaum zu erreichen. Und wer zu Fuß oder mit dem Rad kommt, kann nur kleine Einkäufe tätigen.

Anders war die Situation vor 50 Jahren. Neben den Einzelhandelsgeschäften gab es eine große Zahl von Bäckereien und Fleischereien. „Handwerk hat goldenen Boden“ — so lautete der Rat, wenn es für junge Menschen galt, nach dem Schulbesuch einen Beruf für das Leben zu finden.

Mittlerweile hat es aber auch im Bäcker- und Fleischerhandwerk in St. Tönis einen dramatischen Rückgang gegeben. Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten macht das mehr als deutlich. „Durch die Lebensmittelketten und Verbrauchermärkte hat sich ein völliger Strukturwandel vollzogen“, sagt Schöler. Denn zu deren Angebot gehören auch Brot- und Backwaren (teils sogar frisch aus dem „Backshop“) sowie Fleisch und Wurst.

Folge: Mit der Zeit verschwand ein Bäcker- und Fleischerbetrieb nach dem anderen aus dem Ortsbild. „Dafür war aber nicht nur der Verdrängungswettbewerb und Konkurrenzdruck durch die Supermärkte verantwortlich.“ Probleme habe es unter anderem auch mit der Betriebsnachfolge sowie mit dem immer dichter werdenden Vorschriftennetz gegeben. „Hinzu kam die mangelnde Bereitschaft der Kunden, einen höheren Preis für die qualitativ hochwertigen Produkte zu zahlen“, so Schöler.

Anfang der 60-er Jahre waren in St. Tönis noch 15 Bäckereien sowie 19 Fleischereien ansässig. So geht es aus einem 1963 erstellten Verzeichnis der Gewerbebetriebe hervor, das in einem Buch über St. Tönis abgedruckt ist (siehe Kasten). Heute sind mit den Betrieben Josef-Wilhelm Bölte, Gelderner Straße 6 (mit Filiale in Vorst), Stefan Steeg, Willicher Straße 1 (mit einer Filiale Hochstraße 31) und Günter van Densen (mit Bäckerei-Verkauf in seinem Edeka-Markt an der Leipziger Straße) nur noch drei dieser Bäckereien übrig.

Mit den Betrieben Horst Heyer (Schulstraße 8) sowie Jürgen Wenders (Krefelder Straße 1) gibt es auch nur noch zwei Fleischereien am Ort. Diese Betriebe sind in der zweiten bzw. dritten Generation im Familienbesitz. Ein zusätzliches Warenangebot an Lebensmitteln, ein Café/Stehcafé bei den Bäckern sowie ein Partyservice bei den Metzgern ergänzen ihr Sortiment.

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