Kempen Zwischen Niederrhein und Neu-Delhi

Rajinder und Laura Kashyap leben in Kempen und in Indien. Ihr Unternehmen Kashyap Motors wurde nun 30 — und hat seine Wurzeln am Niederrhein.

Kempen/Neu-Delhi. Ein Stück Kempen in Indien: Auf dem Rücksitz des Wagens, der sich langsam durch die Straßen der Millionen-Metropole Delhi bewegt, sitzen Werner Beckers und Rajinder Kashyap und unterhalten sich. Draußen wird gehupt, was das Zeug hält. Autos, Motorräder, Fahrräder — gerne auch mal hochbeladen — und viele der kleinen dreirädrigen, gelbgrünen Taxis, „Tuc Tucs“ genannt, schieben sich aneinander vorbei. Drinnen wird geplaudert — wie geht es alten Freunden, Nachbarn oder Kollegen? Wie war das damals — die gemeinsame Zeit bei der Kempener Firma Arnold?

Rund 10 000 Kilometer, viereinhalb Stunden Zeitverschiebung und einige kulturelle Unterschiede liegen zwischen der Stadt im Norden Indiens und der niederrheinischen Kleinstadt. Viel gemeinsam haben Neu-Delhi und Kempen nicht. Aber es gibt eine Verbindung: die Familie Kashyap — und das schon seit über 50 Jahren. Sie leben in Kempen und in seiner Heimat Indien.

1964 kam er nach Deutschland und lernte die Thomasstadt über die Firma Arnold kennen, wo er eine Ausbildung machte. Heute ist die Firma Kashyap in Indien ein großes Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und fünf Niederlassungen in Delhi sowie einer Niederlassung in Dubai. Schon damals war Kashyap als ein cleverer Bursche bekannt, der überall ein Geschäft witterte. Und er ließ sich gerne auf Abenteuer ein. So machte er sich mit zwei St. Hubertern 1966 auf eine Reise nach Neu-Delhi — die ganze Strecke mit einem VW-Bus. Kashyap kam viel herum, sammelte in mehreren Unternehmen Erfahrungen.

Die mittlerweile erwachsenen Kinder Anita und Anand besuchten das Luise-von-Duesberg-Gymnasium. Auch heute noch schätzt die Familie die Thomasstadt. Die kurzen Wege. Man ist schnell mal in der Stadt, um etwas einzukaufen oder an der Engerstraße einen Kaffee zu trinken. In Kempen ist der 71-Jährige auch weiter weg vom Familienunternehmen und er kann für einige Zeit Ruhe genießen — auch wenn von Ruhestand wirklich noch keine Rede sein kann.

Und dann ist er ja noch Mitglied des Arnold-Chores, in dem Kashyap, immer, wenn er im Lande ist, freitags probt. Jüngst ist er für 40-jährige Mitgliedschaft ausgezeichnet worden — der Arnold-Chor-Vorsitzende Werner Beckers ließ es sich nicht nehmen, die Urkunde bei der Firmenfeier auf der Bühne zu verleihen. Anlass war eine große Party zum 30-jährigen Bestehen des Unternehmens — die jüngste Brücke, die die Kashyaps zwischen Indien und dem Niederrhein schlugen. Denn zur großen Feier waren auch Kempener Freunde und Sangesbrüder eingeladen. In einem aufwendig und stilvoll geschmückten Park in Delhi feierten 350 Gäste — drunter auch der schwedische Botschafter und wichtige Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft — mit der Familie Kashyap.

So manchem europäischen Autobauer hat das Unternehmen Kashyap bereits die Tür zu dem großen Markt auf dem Subkontinent geöffnet. In Neu-Delhi hat der Name Kashyap Gewicht. Rajinder und Laura Kashyap begleiteten bereits Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch in Indien. Und die Entstehung der Firma ist auch eng mit dem Niederrhein verbunden. Denn dort machte der Gründer und heutige Senior-Chef Rajinder Kashyap die ersten Geschäfte mit dem Automobil. Die Liebe zu Autos war da bereits vorhanden. „Ich habe schon während meiner Schulzeit bei der Tankstelle an der St. Töniser Straße ausgeholfen“, erinnert sich Kashyap. In den 70er Jahren begann er als Schrotthändler. Und so kam er dazu, Gebrauchtwagen zu verkaufen. In St. Tönis führte er zwischenzeitig auch die Tankstelle am Super-Magazin.

Mitte der 80er Jahre sorgte die Einführung des Katalysators für Unsicherheiten auf dem Gebrauchtwagenmarkt. „Da haben wir gedacht, wir versuchen es noch einmal in Indien“, erinnert sich Laura Kashyap. Dort war vieles im Aufbruch. In den Räumen, in denen sein Vater seit 1957 ein Rohrwerk betrieben hatte, gründete er Autohandel und Werkstatt Kashyap Motors. „1987 wurden wir BMW-Vertragswerkstatt, 1991 Importeur für BMW für ganz Indien“, erinnert sich Kashyap. Mittlerweile wird für Volvo und Fiat verkauft.

Einige deutsche Tugenden hat der Firmenchef nach Indien exportiert. Beim Gang durch die große Werkstatt — die neueste wurde 2005 fertig gestellt — wird ein Mitarbeiter belehrt. Vor dem Kehren muss der Boden nass gemacht werden, damit es nicht staubt. „Das hab’ ich schon bei Arnold gelernt“, sagt Kashyap.

Aber auch Handfestes kam vom Niederrhein nach Indien. So gab es vor einigen Jahren noch keine Fensterbeschläge mit Kipp-Mechanismus. Als eine neue Werkstatt gebaut werden sollte, wurden die Beschläge also beim damaligen Haushaltswarenladen Heitzer an der Ellenstraße gekauft — und unter dem fachmännischen Blick eines Kempener Schreiners von indischen Handwerkern eingebaut.

Die Kinder Anand und Anita sind mittlerweile mit im Unternehmen tätig. Viele der rund 250 Mitarbeiter halten dem Unternehmen schon lange die Treue — viele davon schon mehr als 20 Jahre, wie Anand Kashyap bei der Jubiläumsfeier nicht ohne Stolz bemerkt. Und dann ist da noch Radhey Shyam. Er ist bereits seit 30 Jahren bei Kashyap. „Sein Vater hat schon bei meinem Vater gearbeitet. Und sein Sohn arbeitet nun bei meinem Sohn“, sagt Rajinder Kashyap.

Kashyaps Geschäftstüchtigkeit macht sich in vielen Bereichen bemerkbar. Geht man durch seine Geschäfte, fallen ausgefallene Möbel ins Auge. Ein Motorblock mit Glasplatte wird zu einem Tisch, aus dem Heck eines Wagens wird ein Sofa. Wenn es gerade nichts zu reparieren gibt, wird halt etwas Neues gebaut. Alle Gewerke sind in seinem Unternehmen vertreten. Vom Karosseriebauer über Lackierer bis hin zum Polsterer. Das eröffnet viele Möglichkeiten. Und damit ist er noch nicht zu Ende. Der Senior-Chef hat durchaus noch Pläne für die Zukunft. Das Wachstum soll weitergehen. „Stillstand ist Rückschritt“, heißt das Motto.

Wenn die Mitarbeiter gerade mal nichts zu tun haben, können sie sich um Rajinder Kashyaps große Leidenschaft kümmern: Oldtimer. Etwas außerhalb der Stadt, in seinem „Schrebergarten“, hat er sein „Museum“ angelegt, das die Kempener Besuchergruppe natürlich in Augenschein nahm. 40 alte Schätzchen hat er dort sicher unter Planen verwahrt. Selbst erfahrene Oldtimer-Experten bewundern die Größe dieser Sammlung. Und bei so manchem Besucher werden Erinnerungen wach, wenn er an VW-Bus, Opel Rekord, Renault Dauphine, R4 oder Audi 17N vorbeigeht. Echte Raritäten gehören zur Sammlung. Und eine kommt noch hinzu: ein 600 Pullman. In der Staatslimousine von Mercedes sind wichtige Staatsmänner kutschiert worden. Aus Dubai erhält Kashyap ein ganz besonderes Modell. „Es ist der einzige Rechtslenker, den es noch gibt. Er war früher in England zugelassen“, erzählt der Auto-Fan.

„Wie soll man das hier bloß zu Hause beschreiben“, fragt sich Kempener Urgestein Werner Beckers in der Millionen-Metropole. „Das ist ein Verkehr wie in Paris. Aber dann kommen da noch überall Fahrräder und Tiere dazu.“ Die in Indien „heiligen Kühe“ gehören wie selbstverständlich zum Straßenbild — auch wenn das in den vergangenen Jahren schon weniger geworden sein soll. „Es ist eine Stadt voller krasser Gegensätze“, sagt Wolfgang Hergesell. Auf der einen Seite gibt es große Armut. Auf der anderen Seite eine große Kultur und prunkvolle Architektur, beispielsweise der Präsidenten-Palast oder das gut 200 Kilometer von Neu-Delhi entfernte Taj Mahal.

Für den Kempener Günter Nelißen waren die indischen Verhältnisse weniger überraschend. Der ehemalige Berufsschullehrer hat viel gesehen in der Welt, war unter anderem mit Schülern des Rhein-Maas-Berufskollegs in Haiti, wo sie eine Schule für Lehrer neu aufbauten. Er kann sich vorstellen, nach einmal zurückzukehren, um sich die vielen Sehenswürdigkeiten anzusehen, für die bei dieser Reise keine Zeit blieb.

Für Wolfgang und Liane Hergesell aus Kempen war es ein Wiedersehen mit Indien. Sie waren vor knapp 20 Jahren schon einmal dort. Von damals erinnert sich Liane Hergesell noch gut an das Mahnmal, das sie am meisten beeindruckt hat und das die Gruppe auch bei dieser Tour besucht: das Grabmal von Mahatma Gandhi. Will man dorthin, muss man die Schuhe ausziehen, um sich dem schwarzen Stein auf der großen Freifläche nähern zu können. „So ein bedeutender Mann — und so ein schlichtes Denkmal“, stellt Liane Hergesell immer wieder bewegt fest. Die Schlichtheit passt gut zu dem Mann, der mit gewaltlosem Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft kämpfte.

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