Kempen Telefonzellen — die Türen stehen immer noch offen

Die WZ erinnert heute an eine längst vergangene Kultur der Kommunikation. Die Relikte stehen immer noch funktionstüchtig in den Städten.

Kempen: Telefonzellen — die Türen stehen immer noch offen
Foto: Friedhelm Reimann

Kempen. Die Tür steht fast immer einladend offen: Das gelbe Telefonhäuschen vor dem E-Center am Hessenring scheint auf Nutzer zu warten. Tritt man näher heran, wird der gute Eindruck etwas abgeschwächt: In der Tür fehlt eine Scheibe — und Telefonbücher sucht man drinnen vergebens. Die entsprechende Aufhängvorrichtung ist leer. Dafür gibt es eine Bedienungsanleitung an der Wand, die dem Unkundigen verrät, wie man das Ding überhaupt benutzt: „Hörer abnehmen“, „Münzen einwerfen“, „Rufnummer wählen“, „Nach Gesprächsende Hörer auflegen“ — in Zeiten, in denen (fast) jeder ein Smartphone oder Handy hat, scheinen solche Hinweise unbedingt notwendig zu sein.

Kempen: Telefonzellen — die Türen stehen immer noch offen
Foto: Friedhelm Reimann

Ich selbst, Jahrgang 1961, habe schon ewig keinen öffentlichen Münzfernsprecher — ein fast vergessenes Wort — mehr benutzt. Doch ich erinnere mich noch gut an meine Teenager-Ausflüge zur Zelle an der Ecke, von der aus ich regelmäßig meine erste Freundin anrief. Unser eigenes Schnur-Telefon stand damals im Flur, und die ganze Familie konnte jedes Wort mithören, das da gesprochen wurde. Darauf legte ich nun wirklich keinen Wert. Dann lieber mit reichlich Münzgeld bewaffnet auf zur gelben Tel H 78, wie das Standard-Telefonhäuschen der Deutschen Bundespost offiziell hieß. Einige Jahrzehnte ist das jetzt her.

Kempen: Telefonzellen — die Türen stehen immer noch offen
Foto: Friedhelm Reimann

Ärger mit Telefonbüchern gab es schon damals. Vorhanden waren die ja meistens, doch immer wieder fehlten Seiten, die irgendjemand einfach rausgerissen hatte, der zum Aufschreiben einer Nummer zu faul war. Doch es ging auch umgekehrt: Im Viersener Freundeskreis eines Bekannten wurden am Wochenende in einer ganz bestimmten Zelle im Telefonbuch Nachrichten über den nächsten Treffpunkt notiert. Heute macht man solche Verabredungen per WhatsApp — doch funktioniert hat auch die alte Methode.

Kempen: Telefonzellen — die Türen stehen immer noch offen
Foto: Friedhelm Reimann

Was bei den digitalen Nachrichten zum Glück fehlt, ist dieser Zellen-Gestank, an den ich mich bis heute erinnern kann. Er bestand aus einer ekligen Mischung aus kaltem Zigarettenrauch und Ammoniak. Brrr. Kein Wunder, dass man als Nutzer des öffentlichen Telefons die Sprechmuschel möglichst weit vom Mund entfernt hielt. Wusste man doch nie, wer den Hörer vorher in der Hand hatte. . .

Kempen: Telefonzellen — die Türen stehen immer noch offen
Foto: Kurt Lübke

Ohne Telefonzelle ging es bis weit in die 90er Jahre hinein nicht. Sogar Kollege Tobias Klingen, der aus Grefrath stammt und 20 Jahre jünger ist als ich, berichtet davon, dass er als Kind von den Eltern noch regelmäßig Telefongeld mit in die Schule bekommen habe. „In Notfällen konnte ich dann aus der Zelle auf dem Gelände der Liebfrauenschule mal kurz zu Hause anrufen“, erzählt er.

Wenige Jahre später sei es dann wichtig gewesen, immer eine aufgeladene Telefonkarte dabei zu haben. Denn von der Zelle auf dem Kempener Buttermarkt wurde nach der Vorstellung in den Lichtspielen der väterliche Abholdienst herbeigerufen.

Auch wenn es kaum jemand merkt: Besagte Zelle auf dem Buttermarkt gibt es noch immer. Wer von dort aus telefoniert oder eine SMS schreibt (ja, auch das ist möglich), muss heute mit verwunderten Blicken aus dem benachbarten Eiscafé rechnen. Das Häuschen stammt immerhin schon aus Telekom-Zeiten, wie man an der Farbkombination aus Weiß und Magenta erkennen kann. Gegenüber der Post am Moorenring steht dagegen noch eine alte gelbe Tel H 78. Ihre besten Tage hat sie lange hinter sich: Die Tür fehlt ganz, das Innere ist von diversen Kritzeleien verunstaltet.

Ob eine solche Zelle überhaupt noch benutzt wird? Die Deutsche Telekom kann (oder will) dazu keine Auskunft geben. Sie teilt lediglich mit: „Die Telekom darf Städte und Gemeinden wegen eines Abbaus ansprechen, wenn auf deren Gebiet extrem unwirtschaftliche öffentliche Fernsprecher mit einem Umsatz von weniger als 50 Euro im Monat stehen.“ Der Umsatz sei ein klares Indiz dafür, „dass der Wunsch nach einer Grundversorgung durch die Bevölkerung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr besteht“.

Der Unterhalt einer Zelle koste halt Geld. Wenn eine Stadt einen Standort unbedingt erhalten wolle, „sprechen wir mit der Gemeinde über eine kostengünstige Alternative“. Dabei handelt es sich um „Basisstationen“, die nur noch aus dem Telefon an einer Säule bestehen. Wind- und Lärmschutz? Fehlanzeige. Dann doch lieber auf zur Zelle am Hessenring. Die Tür steht dort ja fast immer offen.

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