Der Kreis Viersen nach der Wahl Nach der Schockstarre im Kreis folgen die Planungen in Berlin

Die Abgeordneten aus dem Kreis Viersen stellen nun die Weichen für die Fraktionsarbeit im Bundestag.

Kreis Viersen. „Ich bin nach wie vor geschockt.“ So fasste SPD-Bundestagsabgeordneter Udo Schiefner seine Gemütslage am Tag nach der Wahl zusammen. Bundesweit liegt „seine“ SPD nur noch knapp über 20 Prozent. Im Kreis Viersen sieht es mit 22,3 Prozent der Zweitstimmen nicht viel besser aus. Er und seine Genossen hätten es nicht geschafft, den Leuten zu erklären, dass ein echter Regierungswechsel nur mit der SPD möglich sei, so Schiefner.

Persönlich war der Kempener gestern erleichtert, dass er seine Arbeit in Berlin fortsetzen kann. Über den NRW-Listenplatz 11 schafft der 58-Jährige es wieder ins Parlament. Die Liste zog letztlich bis Platz 17.

Gestern Mittag machte er sich auf den Weg nach Berlin — direkt in die Opposition. „Dass die SPD sich nun in die Opposition begibt, halte ich für richtig“, sagt Schiefner. Mit diesem Ergebnis gehörten die Sozialdemokraten nicht in die Regierung — das sei der Wille des Wählers. „Und durch diese Entscheidung werden wir der AfD nicht als stärkste Oppositionspartei das Feld überlassen.“ Kritik am Rückzug der SPD lässt Schiefner nicht stehen: „Es kann doch nicht sein, dass die Sozialdemokraten immer den Konservativen aus der Patsche helfen und eine Große Koalition eingehen.“ Die Kanzlerin sei jetzt mit Blick auf eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP am Zug.

Schiefner persönlich strebt in der neuen Legislaturperiode einen Posten im Haushaltsausschuss an. Derzeit ist er dort Stellvertreter. Weitermachen will er im Petitions- und Verkehrsausschuss. „Ich muss jetzt aber abwarten, wie sich unsere Fraktion aufstellt und wie die Ausschüsse zusammengesetzt werden“, so Schiefner, der auch Mitglied des SPD-Fraktionsvorstands ist.

Am Montagmittag hat er mit dem CDU-Kreisvorstand die Wahlkampf-Bilanz gezogen, am Nachmittag ging es dann schon mit dem ICE nach Berlin: Einen Tag nach der Wahl war Uwe Schummer (CDU) immer noch „mittelmäßig deprimiert“. Sein gutes Abschneiden im Kreis Viersen, wo er bei den Erststimmen trotz Verlusten fast 48 Prozent holte, freut ihn zwar: „Permanente Arbeit vor Ort lohnt sich.“ Dagegen hatte er nicht damit gerechnet, dass die CDU/CSU bundesweit auf nur 33 Prozent abstürzen könnte.

Und auch das starke AfD-Ergebnis bereitet ihm weiter Bauchschmerzen — auch wenn die Sache im Kreis Viersen noch glimpflich ausgegangen sei. „Bei Themen wie Innere Sicherheit und Flüchtlinge müssen wir Antworten geben“, fordert der CDU-Bundestagsabgeordnete. Eine „Flüchtlings-Obergrenze“, wie von der CSU immer wieder ins Gespräch gebracht, werde es aber nicht geben: „Die sieht das Grundgesetz beim Asyl nicht vor.“

Schummer ist erleichtert, dass sein letzter Wahlkampf vorbei ist: In vier Jahren will er nicht mehr antreten. Bis dahin baut er auf Jamaika: Das sei ein schwieriges Bündnis, doch „auch die CSU wird da mitziehen“. Neuwahlen wären aus Schummers Sicht dagegen das Schlimmste, denn davon profitiere nur die AfD. Und was ist, wenn das Jamaika-Bündnis nicht klappt? „Minderheitsregierungen arbeiten in Schweden sehr erfolgreich“, sagt der CDU-Abgeordnete dazu.

„Voll begeistert“ war Wolfgang Lochner über das Abschneiden der FDP im Kreis Viersen. Der Geschäftsführer der Kreis-Liberalen hatte vor der Bundestagswahl gehofft, dass die Partei zwei bis drei Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen wird. Dass sie nun aber 16 Prozent geholt habe — im Bund sind es 10,7 — „macht mich stolz“. Lochner: „Unsere Themen haben uns nach vorne gebracht und Andreas Bist hat als Kandidat einen sehr guten Wahlkampf gemacht.“ Lochner hat nach eigener Aussage ein sehr gutes Verhältnis zu Christian Lindner. Dass der Chef der Bundespartei nun die NRW-Bühne verlassen wird und gen Berlin zieht, bereitet dem Kempener keine Sorgen. „Wir haben Kontakt per E-Mail und ich bekomme immer eine Antwort.“

Keine Antwort bekam die WZ am Montag vom künftigen AfD-Abgeordneten Kay Gottschalk. Bis zum Abend - zirka 18.30 Uhr - ließ der 51-Jährige eine Rückrufbitte, die die Redaktion am Mittag auf der Mailbox seines Handys hinterlassen hat, unbeantwortet. Der Hamburger mit Zweitwohnsitz in Nettetal war der Wahlparty im Viersener Kreishaus am Sonntag ferngeblieben. Medienberichten zufolge machte er in seinem heimischen Wahlkreis in der Hansestadt sein Kreuzchen.

Auch die Kontaktaufnahme über die Homepage des Kandidaten, deren Adresse auf Gottschalks Visitenkarte steht, gestaltete sich schwierig. Nach dem Aufrufen der Seite „gottschalk-afd.de“ blieb der Bildschirm gestern weiß. Die Internetadresse scheint zu existieren — ist aber nicht mit Inhalten gefüllt. Auf seiner privaten Facebook-Seite ist Gottschalk nicht wirklich aktiv. Sein letzter Beitrag dort stammt vom 28. April. Dass nicht nur Journalisten es schwer haben, den AfD-Mann zu erreichen, zeigt der Kommentar einer Userin vom Wahlsonntag. Um 12.01 Uhr schrieb sie: „Herr Gottschalk — ich habe lange im Internet nach Informationen über Sie gesucht. Die Links, die man auf der AfD Seite findet, führen mich allerdings auf eine Facebookseite, die Sie nicht zu besuchen scheinen. Ich habe dort versucht, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, leider vergeblich. Auf meine PM von vor über einer Woche haben Sie leider auch nicht reagiert. Was soll ich von einem Abgeordneten meines Kreises halten, der für seine Wähler nicht erreichbar ist?“

Auf der von der Userin erwähnten Facebook-Seite hat Gottschalk immerhin ein Statement zum Wahlergebnis veröffentlicht: „Heute haben wir den ersten Schritt gemacht! Wir sind auf dem Weg zur Volkspartei! Ich bedanke mich bei den Wählern für ihr Vertrauen.“

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