Mircos Schicksal wieder ganz nah

Am Freitagabend wurde die TV-Premiere von „Ein Kind wird gesucht“ auf Arte gezeigt. Der Film beruht auf dem Fall des 2010 ermordeten Jungen aus Grefrath. Eine TV-Kritik.

Mircos Schicksal wieder ganz nah
Foto: Reichartz/ZDF (Kerstin Steller)

Grefrath. 1,81 Millionen - so viele Zuschauer hatte die TV-Premiere von „Ein Kind wird gesucht“ am Freitagabend bei Arte nach Angaben der Quotenmessung AGF. Viele dieser 1,81 Millionen dürften in Grefrath und Umgebung vor dem Fernseher gesessen haben. Schließlich hat das Schicksal des 2010 ermordeten Mirco (10) die Region, ja ganz Deutschland bewegt. Regisseur Urs Egger versucht die Geschehnisse der 146 Tage zwischen Mircos Verschwinden und dem Auffinden seiner Leiche spannend zusammenzufassen. Um es vorweg zu nehmen: Das ist Egger auf beeindruckende Art und Weise gelungen.

Mircos Schicksal wieder ganz nah
Foto: Reichartz/ZDF (Kerstin Steller)

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Hauptkommissar Ingo Thiel und sein Ermittlerteam der Soko „Mirco“. Hauptdarsteller Heino Ferch nimmt man den akribischen, ungeduldigen und teilweise brachialen Ermittler aus dem Kreis Viersen ab. Ohne Schnörkel und voller Besessenheit arbeitet vor allem Thiel an der Lösung des Falls.

Mircos Schicksal wieder ganz nah
Foto: dpa/ZDF (Kerstin Steller)

Immer im Hinterkopf hat der Chef der Soko dabei das Versprechen, das er der Mutter von Mirco gegeben hat: Er werde ihren Sohn finden. Im Film - und auch in der Realität - ist den Beteiligten aber früh klar, dass es nur noch um das Finden eines toten Jungen geht. Ferch spielt Thiel während der 89 Minuten so, wie ihn viele Journalisten während der Ermittlungen 2010 und 2011 kennengelernt haben: Nach außen lässt das Selbstbewusstsein während der zum Teil stockenden Ermittlungsarbeit nicht nach. Nach innen allerdings tauchen auch einige Zweifel auf, dem Täter den Mord auch wirklich nachweisen zu können. Das wird in „Ein Kind wird gesucht“ deutlich.

Mircos Schicksal wieder ganz nah
Foto: Reichartz/ZDF (Kerstin Steller)

Im Film — und wohl auch in der Realität — raucht Thiel Kette und ist der menschelnde Teamleiter, der nach Lösung des Falls die Bierkisten zur Feier schleppt. Dankenswerterweise bleibt dem Zuschauer Thiels unerträgliches „Hab Dich“-Zitat erspart, das er nach eigenen Angaben bei der Festnahme zu Täter Olaf H. gesagt hat.

Neben der aufreibenden Arbeit der Soko versucht der Film einen Blick in die Gefühlswelt von Mircos Familie zu werfen. Regisseur Egger legt dabei einen Fokus auf den Gottesglauben von Reinhard (Johann von Bülow) und Sandra (Silke Bodenbenner) Schlitter. Der Film zeigt, dass dieser Glaube bei Mircos Mutter wohl nicht zu erschüttern war, während Reinhard Schlitter erhebliche Zweifel hegt. Warum ist das passiert? Warum haben wir am Abend von Mircos Verschwinden nicht nach ihm geschaut? Warum soll man dem Mörder seines Kindes verzeihen? Diese Fragen stellt sich vor allem der Vater der Familie.

Eher befremdlich ist, wie der Spielfilm die Rolle der Medien einordnet. Eine kurze Sequenz befasst sich mit dem verabscheuungswürdigen Verhalten von Boulevardjournalisten, die vor der Tür der Eltern lauern. Dass Thiels Ermittlungen auch stets darauf aus waren, Öffentlichkeit und damit Druck auf den Täter zu erzeugen, kommt im Film zu kurz.

Seitens der Soko gab es 2010 und 2011 viele Wünsche an die Berichterstatter, um das Thema in den Medien zu halten. Zum Beispiel eine äußerst nachrichtenarme Vorstellungsserie der Soko-Mitglieder in den beiden lokalen Tageszeitungen. Ebenfalls zu kurz kommt die große Anteilnahme und Empathie der Bevölkerung im Fall Mirco. Gedenkfeiern, Gottesdienste, Trauermärsche - all’ das spielt keine Rolle. Aber es handelt sich ja auch um einen Spiel- und keinen Dokumentarfilm, der sich an der üblichen 90-Minuten-Grenze der öffentlich-rechtlichen Sender orientieren muss.

Unverständlich dürfte es für viele Zuschauer gewesen sein, dass im Film fiktive Ortsnamen wie „Gebrath“ (Grefrath) und „Luersen“ (Viersen) verwendet werden, während zum Beispiel Grefrather Straßennamen wie Bronkhorster Weg oder Mülhausener Straße aus der Realität übernommen worden sind. Auch Kempen wird in einer Szene auf einer Landkarte nicht verfälscht. Besonders packend wird er Film, der unter anderem auf Büchern der Eheleute Schlitter und von Ingo Thiel basiert, während der Vernehmung des Täters.

Das Geständnis und die detaillierte Beschreibung von Missbrauch und Mord des Jungen lösen Entsetzen und Beklemmungen aus. Trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass man die Details aus der Ermittlungszeit und aus dem späteren Prozess so gut kennt. Die Gesamtleistung von Regisseur Egger und dem prominenten Schauspieler-Ensemble ist ausgezeichnet. Ebenso ausgezeichnet wie die meisterhafte Ermittlerarbeit der Soko. Das grauenhafte Schicksal von Mirco und seiner Familie, an dem alle in Grefrath und Umgebung gefühlt so nah dran waren, kommt durch den Film noch einmal ganz nah.

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