Lobberich: Der letzte Schlussverkauf

20 Angestellte verlieren ihren Job – und Lobberich ein Stück Geschichte. Ein letzter Streifzug.

Lobberich. Die Weihnachtsmänner sterben in Lobberich, mitten im Hochsommer. Der totale Räumungsverkauf bei Hertie ist derart total, dass die Verkäuferinnen auch die Puppen aus dem Lager verramschen müssen.

Die Zeit der Wunder ist vorbei. Genauso wie die Zeit, als die Kinder vor den Hertie-Schaufenstern standen. So nah, dass ihre Nasen kleine Abdrücke auf den Scheiben hinterließen. Voller Ehrfurcht vor der bunten Warenwelt. Es war die Zeit der Kaufhäuser.

Nun ist die Zeit der Internet-Warenhäuser und Einkaufscenter. Und so steckt eine Verkäuferin einem riesigen Weihnachtsbaum Preisschilder an. 35 Euro - mit 70 Prozent Rabatt, die an der Kasse angezogen werden. Auch die Clownskostüme und die Spielzeugpistolen-Munition sie. "Bei Hertie fallen Weihnachten und Karneval auf einen Tag", sagt sie und versucht zu lächeln. Neben ihr hängt noch ein Werbebanner mit der Aufschrift "Zum Glück gibt’s Hertie".

Der Kampf um die Jobs ist zu Ende. Die verbliebenen 54 Filialen der Traditionskette schließen. Während 15 Häuser noch zwei Wochen die Stellung halten, ist in Lobberich am Samstag Schluss. Wann, weiß keiner genau. Irgendwann im Laufe des Tages, wenn keine Ware mehr da ist.

Im Geschäft ist längst das Chaos ausgebrochen. Die Kunden können "satte Rabatte abstauben", wie es auf dem Schild heißt. Das lockt noch einmal die Massen. Hunderte Hände durchwühlen das letzte Waren-Aufgebot.

Alles packen sie aus, reißen sie auf und lassen sie achtlos zurück. Über dem Feuerlöscher an einer Stützsäule, da wo der hintere Bereich der Filiale bereits leergeräumt und mit Flatterband abgesperrtist, hängt ein BH von Triumph in Größe 75F. Darunter zwei Wrestling-DVDs und ein Kopfkissenbezug.

Die 20 verbliebenen Angestellten halten tapfer ihre Posten. Und doch steht fast allen nur der mühsame Versuch eines Lächelns im Gesicht. "Es ist ein ganz komisches Gefühl - unwirklich. Aber wir machen hier weiter unsere Arbeit", sagt Filialleiterin Marion Schmeer - muss sie sagen. Am Samstagabend wird sie als letzte Angestellte die Filiale abschließen.

Einige ihrer Kolleginnen haben in den letzten Tagen geweint. Am Samstag fließt keine Träne. Das Leben mit der Angst vor dem was kommt, hat sie ausgezehrt. Die meisten von ihnen sind Frauen um die 50. "Ich kann es immer noch nicht fassen, dass hier alles leer geräumt wird. Ich denke immer, dass wir Ware ordern müssen", sagt eine Verkäuferin, dreht sich um und hängt einige runtergerissene Hemden auf die Bügel.

Eine verwitterte Haut aus Beton umfasst den wuchtigen Hertie-Bau. "Noch drei Tage Hertie", steht auf den riesigen Aufklebern. Selbst das Runterzählen haben sie inzwischen gelassen. Drinnen leuchten Scheinwerfer, sie strahlen, glitzern und funkeln, auf dass nur niemand merkt, dass dieses Kaufhaus ohne künstliches Licht am Sonntag einem düsteren Bunker ähnelt.

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