„Hoffen, dass so etwas Schreckliches nie wieder passiert“

Auf der Alten Schulstraße wurden gestern neun weitere Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Nazi-Terrors verlegt.

„Hoffen, dass so etwas Schreckliches nie wieder passiert“
Foto: Friedhelm Reimann

Kempen. Die Alte Schulstraße ist einer der Anlaufpunkte für Touristen in der Altstadt. Malerische Fachwerkhäuser stehen dicht an dicht an der engen Straße, die ein Symbol für die Schönheit des historischen Stadtkerns ist. Die Alte Schulstraße ist aber auch ein Ort, an dem sich in der Geschichte Kempens grausame Verbrechen zugetragen haben. Das wurde den Anwesenden der Stolperstein-Verlegung gestern vor Augen geführt. So waren die Häuser Nummer 9 und 10 die letzte Heimat für neun Kempener Juden. Von der Schulstraße aus wurden sie in verschiedene Ghettos und Lager deportiert. Bis auf Herbert Bruch, der heute in den USA lebt, fielen alle dem Holocaust zum Opfer.

Im Rahmen einer Gedenkfeier verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig gestern Stolpersteine in Erinnerung an neun der Opfer des Nazi-Terrors. Vor den Häusern Alte Schulstraße 9 und 10 wird nun an die Mitglieder der Familien Goldschmidt und Bruch sowie an Andreas Lambertz und Sofie Buchdahl erinnert.

Jugendliche aus den weiterführenden Schulen hatten die Feier vorbereitet. Sie trugen die Biografien der Verfolgten und Ermordeten vor, schilderten ihre Schicksale. Vor allem das von Selma Bruch und ihrer Tochter Ilse erschütterte viele der mehreren hundert Gäste.

Selma Bruch hatte die SS im lettischen Ghetto eine Arbeit zugeteilt, die eine Art Lebensversicherung für sie darstellte: Als Näherin musste die Kempenerin die Kleider der Erschossenen von Blutspuren säubern und dann die Einschusslöcher kunststopfen, damit die Textilien in Deutschland im Rahmen des Winterhilfswerks an bedürftige „Volksgenossen“ verteilt werden konnten. Aber als Selma Bruch eines Abends mit ihrer Arbeitskolonne in das Ghetto zurückgebracht wurde, sah sie, wie ihre Tochter mit anderen Kindern in einer Reihe hinter einem Lkw stand, der sie nach Auschwitz bringen sollte. Ängstlich hielt die Neunjährige Ausschau nach der Mutter. Da stellte sich Selma Bruch neben ihr Kind, damit Ilse beim Sterben in der Gaskammer nicht allein war. Am 5. November 1943 wurden die beiden in Auschwitz ermordet. „Die Liebe zu ihrem Kind war stärker als die Angst vor ihrem Tod“, so einer der Schüler in seinem Vortrag über Selma Bruch.

„Wir hoffen, dass so etwas Schreckliches nie wieder passiert.“ So fasste unter anderem Ute Gremmel-Geuchen von der Kempener Stolperstein-Initiative den Sinn der Gedenkaktion zusammen. Angesichts jüngster judenfeindlichen Drohungen in Deutschland, die zum Beispiel aus Sicherheitsgründen zur Absage des Lichterfestes Chanukka in Duisburg-Mülheim geführt hatten, steht der Sinn eines solchen Gedenkens außer Frage.

Stolperstein-Initiative und vor allem die Schüler und Lehrer, die sich im Unterricht mit dem Schicksal der Kempener Opfer befasst haben, sorgten gestern für einen Moment des Innehaltens.

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