Der 9,6-Millionen-Kompromiss

Die Stadt will am Bahnhof einen neuen Zweitsitz für die Verwaltung bauen. Das Projekt ist politisch umstritten. Bis nächsten Dienstag muss Bürgermeister Volker Rübo eine Mehrheit für seine Pläne sichern.

Kempen. Diesen Dienstag und vor allem am nächsten Dienstag geht es um die künftige Ausrichtung der Stadtverwaltung. Auf der Tagesordnung von Haupt- und Finanzausschuss sowie Stadtrat steht der geplante Kauf von drei Bürogebäuden zwischen Bahnhof und Finanzamt. Bekanntlich ist das Projekt in der Politik äußerst umstritten. Einzelne Fraktionen bemängeln den fehlenden Gestaltungsspielraum, weil die Stadt vorgefertigte Gebäude des Investors Hout übernehmen will. Zugeschnitten allerdings auf die Bedürfnisse einer Verwaltung, wie Bürgermeister Volker Rübo in der jüngsten Sitzung des Liegenschaftsausschusses betont hat.

Dieser spezielle Zuschnitt hat das Projekt allerdings noch umstrittener gemacht, weil es teurer wird. Statt der einst grob eingeplanten 8,25 Millionen Euro liegt die Kostenrechnung inzwischen bei 9,6 Millionen Euro — inklusive Möblierung, IT-Hardware, Glasfaserverbindung und einem Puffer für Unvorhergesehenes. Bürgermeister Rübo muss bis zur endgültigen Entscheidung am nächsten Dienstag noch einige Gespräche mit der Politik führen, um eine Mehrheit zu sichern. Doch wie stehen dafür die Chancen?

Salopp könnte man es so ausdrücken: Es wird schon schief gehen. Der Rückhalt „seiner“ Partei — der CDU — dürfte Rübo sicher sein. Die Christdemokraten hatten bereits im Frühjahr an der Seite des Bürgermeisters gestanden. „Wir unterstützen die Bereitstellung von Mitteln für den Ankauf von drei Bürogebäuden, um zentrennah und gut erreichbar eine zentrale Verwaltungsnebenstelle zu schaffen“, so Fraktionschef Wilfried Bogedain in der Ratssitzung im April.

Als es in der jüngsten Sitzung des Liegenschaftsausschusses um die Detailplanung und den Anstieg der Kosten ging, hielten sich die CDU-Vertreter zurück. Von Peter Fischer gab es nur nebensächliche Verständnisfragen. Die CDU wird Rübos Weg wohl weiter mitgehen, zumal die Fraktion auch das Argument des Bürgermeisters sieht, dass es keine Alternativen gebe.

Die CDU-Stimmen allein reichen aber bekanntlich nicht. Sollten die Christdemokraten geschlossen hinter Rübos Idee stehen, braucht es mindestens die Stimmen einer kleineren Fraktion. Es kommt also auf die „Kleinen“ an — so sehr wie selten zuvor.

Beim größten „Kleinen“ — der SPD — bestehen inzwischen große Zweifel am Millionenprojekt. „Die Option, die sich jetzt mehr zufällig ergeben hat, ist aus meiner Sicht keine schlechte“, hatte Fraktionsvorsitzender Andreas Gareißen die Zustimmung der SPD im April begründet. Schon damals waren die Sozialdemokraten über das Vorgehen Rübos, das Thema zunächst nicht öffentlich diskutieren zu wollen, alles andere als begeistert. Die inzwischen vorgelegte teurere Planung hat die Zweifel der SPD größer werden lassen. Heinz Wiegers brachte im Liegenschaftsausschuss folgerichtig ins Spiel, die Pläne grundsätzlich zu überdenken. Wie die Sozialdemokraten abstimmen werden, ist offen.

Von den Grünen kann der Bürgermeister keine Unterstützung erwarten. Die Fraktionsmitglieder sind die schärfsten Kritiker des Projektes. „Dieses Konzept ist Flickschusterei“, kommentierte Michael Rumphorst im Liegenschaftsausschuss. Offen ist allerdings die Frage, wie sich Jeyaratnam Caniceus in der Abstimmung verhalten wird. Der 51-Jährige hatte am Freitag nach einem Streit völlig überraschend Partei und Fraktion verlassen. Er will als fraktionsloses Mitglied im Rat bleiben. Und am kommenden Dienstag ist das zum ersten Mal der Fall.

Inhaltlich steht die FDP häufig an der Seite der CDU. In der Rathausfrage allerdings nicht. „Unser Vorschlag ist, das Ganze auf Null zu stellen, um neue Konzepte zu entwickeln“, so Bernd Lommetz im Liegenschaftsausschuss. Ein Streit zwischen der Fraktion und dem Bürgermeister über den Antrag für einen Lenkungsausschuss hat die Ablehnung der Liberalen verstärkt. Ein für kommenden Donnerstag anberaumtes Gespräch mit Rübo hat die Fraktion vorerst abgesagt, wie es Vorsitzende Irene Wistuba in der vergangenen Woche kundgetan hat.

Jörg Geulmann, Kämmerer

Bleiben in den Reihen der Politik noch die Zwei-Stimmen-Fraktionen von Freien Wählern Kempen (FWK) und Die Linke. Beide hatten dem Rübo-Vorschlag im April zugestimmt. Nach der neuen Kostenschätzung haben beide Fraktionen noch Beratungs- und Gesprächsbedarf — wahrscheinlich auch mit dem Bürgermeister höchstselbst. Mit Blick auf die Freien Wähler wäre die Ablehnung des Bürgermeister-Vorschlags aber eine Überraschung.

Innerhalb der Verwaltung besteht Einigkeit darüber, das Projekt nun, wie vorgeschlagen, durchzuziehen. Kämmerer Jörg Geulmann, der gemeinsam mit Wirtschaftsförderer Heinz-Peter Teneyken die Arbeitsgruppe für den Neubau leitet, betonte im Liegenschaftsausschuss, dass der Personalrat hinter dem Vorschlag steht. Zumal die Zustände im sanierungsbedürftigen Rathaus — und auch in den Nebenstellen — nicht mehr erträglich seien.

Innerhalb der Rathausmauern sind sich die Verantwortlichen aber auch bewusst, dass die Drei-Gebäude-Lösung in Bahnhofsnähe lediglich ein 9,6 Millionen Euro teurer Kompromiss ist. Aus Sicht der Mitarbeiter müsse schnell etwas passieren — und das gehe eben nur mit den Plänen der Firma Hout an der Schorndorfer Straße, wie Geulmann es sagte. Ein Problem ließ er allerdings nach seiner Präsentation im Liegenschaftsausschuss nicht unausgesprochen: „Das einzige Manko, das ich sehe, ist die Tatsache, dass wir drei einzelne Gebäude entwickeln werden.“

Dieses Manko und andere offene Fragen müssen nun von der Politik in der heutigen Hauptausschusssitzung und nächste Woche im Rat angesprochen werden. Zum Beispiel muss auch der Ablauf des Projektes diskutiert werden. Vorgesehen ist, dass die Mitarbeiter aus dem Rathaus in die Neubauten ziehen. Dann soll der Hauptsitz am Buttermarkt kernsaniert werden. Mit einem Komplett-Umzug der Mitarbeiter dürfte es aber schwierig werden. Laut Jörg Geulmann soll es in den Hout-Gebäuden Platz für „100 bis 110“ Mitarbeiter geben. Im Rathaus sitzen nach Angaben der Stadt allerdings rund 145 Angestellte und Beamte. Nach diesen Zahlen hat bislang noch kein Politiker öffentlich gefragt. Heute und nächste Woche gibt es die Gelegenheit.

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