Kempen „Danke für einen Ort des Gedenkens“

Elf Stolpersteine wurden in Erinnerung an jüdische Opfer von Tod und Vertreibung in der Kempener Altstadt verlegt.

Kempen: „Danke für einen Ort des Gedenkens“
Foto: Lübke

Kempen. „Vier Überlebende haben für 60 Nachkommen gesorgt.“ Diese Worte spricht Hannah Gillman, während sie auf den Stammbaum ihrer Familie blickt. „Nun stellen Sie sich mal vor, wie viele Nachkommen es bei sechs Millionen Menschen gegeben hätte“, ergänzt die Tochter des früheren Kempener Juden Leo Hirsch, dem 1939 die Flucht vor den Nazis nach England gelungen war. Was für ein Satz. So einfach und so tiefgründig zugleich, um die Dimension der abscheulichen Taten der Nationalsozialisten zu beschreiben.

Kempen: „Danke für einen Ort des Gedenkens“
Foto: Kurt Lübke

Fünf anderen Mitgliedern der bekannten Metzger-Familie Hirsch von der Peterstraße gelang die Flucht nicht. Sie wurden von den Nazis ermordet. Seit gestern erinnern Stolpersteine an diese fünf Opfer und vier weitere Familienmitglieder, die die Flucht ergreifen mussten, vor dem Kolpinghaus an der Peterstraße 23. Dort lebte die Familie früher und dort war auch die Metzgerei, bei der so viele Kempener Kunden waren.

Bei der Verlegung vor dem Kolpinghaus wurde deutlich, dass das Gedenken für die Angehörigen von großer Bedeutung ist. „Durch diese gemeinsame Veranstaltung bekommen wir ein Stück der Würde des Andenkens an unsere Familienmitglieder zurück“, sagte Hannah Gillmann gestern nach der Verlegung. Sie dankte Bürgermeister Volker Rübo und der Kempener Stolperstein-Initiative um Ute Gremmel-Geuchen, Roland Kühne und Hans Kaiser, dass sie dies möglich gemacht haben.

Hannah Gillmann lebt in Israel und ist extra für die Stolperstein-Verlegung nach Kempen gekommen. Ebenso wie weitere Hirsch-Nachkommen, die sich über die ganze Welt verstreut haben. Leora Jaspers, Enkelin von Martha Hirsch, kam mit ihrem Mann Peter aus Neuseeland. Dorthin hatten es Martha Hirsch und ihr älterer Bruder Ernst 1938 beziehungsweise 1939 geschafft. Aus England angereist war der Bruder von Hannah Gillmann, Freddie Hirsch mit seiner Frau Glenda.

„Wir lernen Menschen einer Familie kennen, der großes Leid und Unrecht zugefügt wurde und die der Holocaust über die ganze Welt verstreut hat“, sagte Bürgermeister Volker Rübo bei einem Treffen mit den Angehörigen im Rokokosaal. Rübo würdigte in seiner Rede die Familie Renkes, die heute immer noch ein Möbelhaus unweit des Altstadtrings betreibt. Als Nachbarn hatte die Familie Renkes, die früher an der Peterstraße lebte, der Familie Hirsch beigestanden. Unter anderem kaufte sie das Hirsch-Haus und gewährte ihnen Wohnrecht. „Die Familie Renkes steht für die menschliche Seite Kempens in der Zeit des Nazi-Regimes“, so Rübo.

Die Verbundenheit zwischen den Familien riss über all die Jahrzehnte nicht ab. Die Nachkommen der Familie Renkes halten Kontakt zu den Hirsch-Nachfahren in aller Welt. Und: Die Angehörigen der Familie Renkes finanzierten die Stolperstein-Verlegung und fungieren nun als Paten für die Steine.

Das Gedenken an die Opfer der Familie Hirsch stand zwar gestern im Mittelpunkt. Es wurden aber noch zwei weitere Stolpersteine in der Altstadt verlegt. Einer an der Ellenstraße 19 erinnert ein Mahnmal an Josef Voss, der 1941 im Alter von 20 Jahren wegen einer leichten geistigen Behinderung in der Gaskammer der Todesklinik Hadamar ermordet wurde. Ein weiterer Stein erinnert vor dem Haus Peterstraße 3 an den Friseur Heinrich Wolff, der ins Zuchthaus kam, weil er sich kritisch über den von den Nazis angezettelten Krieg geäußert hatte.

An allen drei Stationen sorgten Schüler von weiterführenden Schulen für den Rahmen der Verlegung. Sie trugen die Lebensläufe der Opfer auf Deutsch und Englisch vor. Außerdem gab es Musik. Zum Schluss sprach Pfarrer Roland Kühne ein Gebet auf Hebräisch. „Vielen Dank an Sie alle in Kempen“, so Hannah Gillmann. „Wir haben jetzt einen Ort des Gedenkens“, sagte sie stellvertretend für 60 Nachkommen von vier Holocaust-Überlebenden.

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