St. Annenhof: Schnell Anschluss gefunden, Prüfung bestanden

Vanessa Stephan zog mit 16 Jahren freiwillig in den St. Annenhof. Vor Kurzem bestand sie ihre Prüfung zur Rechtsanwaltsgehilfin — als Klassenbeste.

Kempen. Ihr Start ins Leben ist kein leichter: Ein festes Zuhause kennt Vanessa Stephan lange Zeit nicht. Die Mutter macht sich öfter mal aus dem Staub, zum Vater hat sie nur sporadischen Kontakt. Vanessa und ihre Geschwister werden herumgereicht. „Zwischendurch war ich immer mal wieder bei meiner Mutter, dort gab es keine wirklichen Regeln. Dann war ich bei der Oma“, erinnert sich die 20-Jährige.

Zuletzt wohnt sie erst bei der einen älteren Schwester, dann bei der anderen. „Irgendwann hatte sie aber auch eine eigene Familie, da ging es nicht mehr“, erzählt Vanessa. Also entschließt sie sich mit 16 Jahren, in den St. Annenhof zu ziehen. „Meine Schwestern waren auch schon zeitweise dort gewesen.“

In dem Kinderheim an der Oelstraße findet Vanessa endlich Stetigkeit, ein permanentes Zuhause — und Ansprechpartner. „Immer war jemand da, der mich gestützt und mir geholfen hat“, sagt sie.

Auch, wenn das Leben in den Jugendwohnungen des Annenhofs anfangs etwas ungewohnt war. „Es waren immer sehr viele Leute im Haus und ich war ja die Neue, die erst recht spät hinzukam“, sagt Vanessa. „Aber ich habe sehr schnell Anschluss gefunden.“

So wechselhaft ihre familiäre Situation lange gewesen war, so zielstrebig war Vanessa stets, wenn es um ihre schulische und berufliche Karriere ging: „Hin und wieder bin ich bei den Noten etwas abgesackt, hatte schon mal den falschen Umgang. Aber ich habe die Schule immer gewissenhaft gemacht und nie geschwänzt“, erzählt sie nicht ohne Stolz.

Von der Hauptschule wechselte Vanessa nach der sechsten Klasse zur Realschule. „Das war gar nicht so leicht, nach der Probezeit hätte man mich auch zurückschicken können, wenn ich es nicht geschafft hätte“, erinnert sie sich. Aber sie biss sich durch, beendete die Schule mit der Qualifikation für die Höhere Handelsschule. Ihr Ziel: Rechtsanwaltsgehilfin werden. „Das wollte ich schon immer“, sagt Vanessa.

Mit fast 18 Jahren machte sie ihr Fachabitur, wohnte da schon in einem der „Trainings-Appartements“ des Annenhofs. „Sie war schon relativ eigenverantwortlich, konnte gut mit Geld umgehen“, sagt Vanessas ehemalige Betreuerin Martina Vögeding. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass sie es schafft.“

Noch in den Ferien macht die Schülerin ein Praktikum bei einer Anwaltskanzlei in St. Tönis, gibt dort direkt ihre Bewerbung ab — und wird genommen. Die Lehrzeit meistert sie mit Bravour, überspringt das zweite Lehrjahr und macht im Juni diesen Jahres ihren Abschluss — als Klassenbeste.

Natürlich wurde sie übernommen. Am Ende ihrer Ausbildung sieht Vanessa sich aber noch nicht: „Im Januar fange ich eine Fortbildung zur Rechtsfachwirtin an.“

Zu ihren Schwestern hat sie heute einen guten Kontakt, ebenso zu ihren ehemaligen Betreuern vom Annenhof, wo sie Anfang 2011 auszog. „Meine Wohnung liegt gleich auf der anderen Straßenseite“, sagt Vanessa.

Auch für Martina Vögeding ist Vanessas Werdegang eine Bereicherung: „In meinem Job ist so etwas ein Highlight, das aufbaut und Kraft gibt“, sagt sie. Dass ein Heimkind so konsequent seinen Weg geht, sei schon enorm — und leider selten. „Die Probleme in den Familien werden immer vielschichtiger“, sagt Vögeding.

Für Vanessa liegt der Grund für ihren Erfolg und ihre Zielstrebigkeit auf der Hand: „Ich hatte genug schlechte Vorbilder und weiß, wie ich es nicht machen will.“

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